Johannsfriedhof Nürnberg
Günter Braunsberg: Zur Ausstellung
in: Übergänge – Kunstprojekt Johannisfriedhof, Nürnberg 1996, S. 10 - 16
Ein Ort und eine Idee bilden Ausgangspunkt und Kern des Ausstellungsprojekts
Übergänge – Kunstprojekt Johannisfriedhof.
Der Johannisfriedhof in Nürnberg gab den Anstoß. Es ist nicht irgendein Friedhof! Sein ganz spezifischer Charakter wird geprägt von der Durchdringung künstlerischer Formen und weltanschaulicher Inhalte, von der Wechselbeziehung von Geschichte und Gegenwart, von der Polarität zwischen Überpersönlichem und Persönlichstem. Am Johannisfriedhof wurden Grabmäler zu Denkmälern (Albrecht Dürer, Peter Flötner, Wenzel Jamnitzer, Willibald Pirckheimer, Hans Sachs, Veit Stoß, u.a.). Dennoch bleibt er nach wie vor ein Ort der individuellen Trauer und des langsamen Vergessens.
Was ist der Tod? Was ist das Leben? Alte Fragen, die immer wieder aufgeworfen werden müssen! Einerseits hält der Johannisfriedhof Antworten bereit, die aus seiner Geschichte erwachsen. Andererseits agieren und reagieren im Rahmen der Ausstellung Übergänge – Kunstprojekt Johannisfriedhof Künstler auf seinem historischen Boden mit den Mitteln der aktuellen Kunst, um heute relevante Diskussionsbeiträge zu liefern. Der Tod als häufig verdrängtes Tabu-Thema unseres alltäglichen Lebens soll ins Rampenlicht der öffentlichen Diskussion gestellt werden. Das persönliche Nachdenken jedes Einzelnen wird herausgefordert.
Übergänge – Kunstprojekt Johannisfriedhof.
Der Johannisfriedhof in Nürnberg gab den Anstoß. Es ist nicht irgendein Friedhof! Sein ganz spezifischer Charakter wird geprägt von der Durchdringung künstlerischer Formen und weltanschaulicher Inhalte, von der Wechselbeziehung von Geschichte und Gegenwart, von der Polarität zwischen Überpersönlichem und Persönlichstem. Am Johannisfriedhof wurden Grabmäler zu Denkmälern (Albrecht Dürer, Peter Flötner, Wenzel Jamnitzer, Willibald Pirckheimer, Hans Sachs, Veit Stoß, u.a.). Dennoch bleibt er nach wie vor ein Ort der individuellen Trauer und des langsamen Vergessens.
Was ist der Tod? Was ist das Leben? Alte Fragen, die immer wieder aufgeworfen werden müssen! Einerseits hält der Johannisfriedhof Antworten bereit, die aus seiner Geschichte erwachsen. Andererseits agieren und reagieren im Rahmen der Ausstellung Übergänge – Kunstprojekt Johannisfriedhof Künstler auf seinem historischen Boden mit den Mitteln der aktuellen Kunst, um heute relevante Diskussionsbeiträge zu liefern. Der Tod als häufig verdrängtes Tabu-Thema unseres alltäglichen Lebens soll ins Rampenlicht der öffentlichen Diskussion gestellt werden. Das persönliche Nachdenken jedes Einzelnen wird herausgefordert.
Der Ort als historisches Fundament:
Der Johannisfriedhof ist der älteste existierende Friedhof in Nürnberg. Aus einem Schreiben Papst Gregors IX an den Bischof von Bamberg von 1238 geht hervor, dass "die Meister und Brüder des Hauses der Sundersiechen zu Nürnberg" um Erlaubnis bitten, einen Friedhof mit Kapelle errichten zu dürfen. Ausgangspunkt des Friedhofs ist somit die Gründung eines "Siechkobels" (siech = krank, Kobel = Haus oder Wirtschaftshof), der bereits in einer Urkunde von Kaiser Heinrich VII von 1234 als "Leprosenhaus" Erwähnung fand. In Folge der Kreuzzüge war die Lepra nach Mitteleuropa eingeschleppt worden. In den folgenden Jahrhunderten häuften sich die Seuchenwellen (Pest, Ruhr, Syphillis). Die großen Pestepidemien von 1379 und 1395 führten zur Neuanlage eines Pestfriedhofs, um den der kleine südlich der Johanniskirche gelegene Siechkobelfriedhof, gegen Osten erweitert wurde. Die Epidemiewellen wiederholten sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts in immer kürzeren Abständen. 1462/63 starben innerhalb eines halben Jahres wahrscheinlich 5.000 bis 5.500 Nürnberger an der Pest. Spätestens von da ab setzten intensive Bemühungen des Stadtrates ein, die Friedhöfe innerhalb der Stadtmauern abzuschaffen. Aber erst 1517 erzielte der Rat einen Teilerfolg: zumindest in solchen Zeiten durften keine Toten mehr auf den innerstädtischen Friedhöfen beigesetzt werden. Schützenhilfe bot 1518 Kaiser Maximilian I mit seinem Brief die Newen Gotsacker vor der Stat belangent. Auch Martin Luther hatte sich bereits in seiner Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation gegen die Friedhöfe in den Städten ausgesprochen. Doch erst 1520 konnte der endgültige Ratsbeschluss durchgesetzt werden, alle Toten vor der Mauer zu begraben. Zwischen 1526 und 1527 pflasterte man dann bereits große Teile des Sebalder Friedhofs und übergab ihn damit dem öffentlichen Verkehr. Der Übergang von einem Zeitalter zu einem anderen war vollzogen.
Heute ist es uns nicht mehr ohne weiteres verständlich, dass es so schwierig war, den Widerstand weiter Bevölkerungskreise (die durch die Geistlichkeit Unterstützung fanden) zu brechen. Aber das Beispiel St. Sebald macht klar, dass tief verwurzelte Traditionen angegriffen wurden. Den Menschen des Mittelalters war es sehr wichtig, ihre eigene letzte Ruhestätte möglichst nahe bei den Reliquien des Stadtheiligen zu finden, von dem sie sich Fürsprache beim letzten Gericht erhofften. Erst die geistigen Umwälzungen der Reformationszeit ermöglichten ein Umdenken. Die Bedeutung der Reliquienverehrung trat Schritt für Schritt in den Hintergrund und wurde schließlich ganz durch die Verkündigung des Wortes ersetzt, die Worte wiederum in Kunstwerken veranschaulicht.
Die geistige Verbindung zwischen dem alten Begräbnisplatz an der Sebalduskirche und dem Johannisfriedhof vor der Stadt (Abb. 2) stellten die Kreuzwegstationen von Adam Kraft dar.
Der Johannisfriedhof ist der älteste existierende Friedhof in Nürnberg. Aus einem Schreiben Papst Gregors IX an den Bischof von Bamberg von 1238 geht hervor, dass "die Meister und Brüder des Hauses der Sundersiechen zu Nürnberg" um Erlaubnis bitten, einen Friedhof mit Kapelle errichten zu dürfen. Ausgangspunkt des Friedhofs ist somit die Gründung eines "Siechkobels" (siech = krank, Kobel = Haus oder Wirtschaftshof), der bereits in einer Urkunde von Kaiser Heinrich VII von 1234 als "Leprosenhaus" Erwähnung fand. In Folge der Kreuzzüge war die Lepra nach Mitteleuropa eingeschleppt worden. In den folgenden Jahrhunderten häuften sich die Seuchenwellen (Pest, Ruhr, Syphillis). Die großen Pestepidemien von 1379 und 1395 führten zur Neuanlage eines Pestfriedhofs, um den der kleine südlich der Johanniskirche gelegene Siechkobelfriedhof, gegen Osten erweitert wurde. Die Epidemiewellen wiederholten sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts in immer kürzeren Abständen. 1462/63 starben innerhalb eines halben Jahres wahrscheinlich 5.000 bis 5.500 Nürnberger an der Pest. Spätestens von da ab setzten intensive Bemühungen des Stadtrates ein, die Friedhöfe innerhalb der Stadtmauern abzuschaffen. Aber erst 1517 erzielte der Rat einen Teilerfolg: zumindest in solchen Zeiten durften keine Toten mehr auf den innerstädtischen Friedhöfen beigesetzt werden. Schützenhilfe bot 1518 Kaiser Maximilian I mit seinem Brief die Newen Gotsacker vor der Stat belangent. Auch Martin Luther hatte sich bereits in seiner Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation gegen die Friedhöfe in den Städten ausgesprochen. Doch erst 1520 konnte der endgültige Ratsbeschluss durchgesetzt werden, alle Toten vor der Mauer zu begraben. Zwischen 1526 und 1527 pflasterte man dann bereits große Teile des Sebalder Friedhofs und übergab ihn damit dem öffentlichen Verkehr. Der Übergang von einem Zeitalter zu einem anderen war vollzogen.
Heute ist es uns nicht mehr ohne weiteres verständlich, dass es so schwierig war, den Widerstand weiter Bevölkerungskreise (die durch die Geistlichkeit Unterstützung fanden) zu brechen. Aber das Beispiel St. Sebald macht klar, dass tief verwurzelte Traditionen angegriffen wurden. Den Menschen des Mittelalters war es sehr wichtig, ihre eigene letzte Ruhestätte möglichst nahe bei den Reliquien des Stadtheiligen zu finden, von dem sie sich Fürsprache beim letzten Gericht erhofften. Erst die geistigen Umwälzungen der Reformationszeit ermöglichten ein Umdenken. Die Bedeutung der Reliquienverehrung trat Schritt für Schritt in den Hintergrund und wurde schließlich ganz durch die Verkündigung des Wortes ersetzt, die Worte wiederum in Kunstwerken veranschaulicht.
Die geistige Verbindung zwischen dem alten Begräbnisplatz an der Sebalduskirche und dem Johannisfriedhof vor der Stadt (Abb. 2) stellten die Kreuzwegstationen von Adam Kraft dar.
Jeder Nürnberger Begräbniszug, der die Stadt verließ, bewegte sich entlang der ursprünglich frei am Straßenrand = Ackerrand aufgestellten Tafeln. Sie verweisen den Betrachter auf den Leidensweg Christi, der den Leidensweg eines jeden Menschen symbolisiert. Mitleidende Menschen (vor allem Maria) geben ihrer Verzweiflung und ihrer Trauer Ausdruck. Sie verkörpern die Hinterbliebenen, wollen ihnen Hoffnung und Glauben vermitteln.
Vor dem Friedhofseingang passierte jeder Begräbniszug einen großen Kalvarienberg: rechts stand die große Kreuzigungsgruppe mit zahlreichen Beteiligten, links eine kleinere Gruppe mit Maria und anderen trauernden Frauen, die sich auf den Gekreuzigten zu bewegten (Abb. 3+4).
Vor dem Friedhofseingang passierte jeder Begräbniszug einen großen Kalvarienberg: rechts stand die große Kreuzigungsgruppe mit zahlreichen Beteiligten, links eine kleinere Gruppe mit Maria und anderen trauernden Frauen, die sich auf den Gekreuzigten zu bewegten (Abb. 3+4).
Direkt in der Umfassungsmauer des Friedhofs war die Beweinung (Abb. 2+4) eingebaut. Die letzte Kreuzwegstation befindet sich in der Heiliggrabkapelle (heute Holzschuherkapelle genannt) und somit mitten im Gräberfeld. Sie zeigt die Grablegung Christi. Diese vielfigurige, vollplastische Szene ist in eine Seitennische gestellt. Der zentrale Hauptaltar verkündet die Auferstehung. Er verkörpert die Hoffnung des Christen auf ein Leben nach dem Tode. Durch die Nutzung der Heiliggrabkapelle als Begräbniskapelle, lenkt heute eine Vielzahl an Epitaphien vom ursprünglichen Bildprogramm ab.
Das hoch über das Gräberfeld aufragende Münzersche Grabmal von 1579 (Abb. 5) unterstreicht die christliche Auferstehungshoffnung als Hauptthema des historischen Friedhofteils.
Das hoch über das Gräberfeld aufragende Münzersche Grabmal von 1579 (Abb. 5) unterstreicht die christliche Auferstehungshoffnung als Hauptthema des historischen Friedhofteils.
In den Jahrhunderten bis zur Gegenwart wandelte sich die Einstellung der Menschen zum Friedhof grundlegend. Die Reformationszeit brachte ein neues Verständnis der Messe, der Heiligenverehrung und des Todes. Im Zentrum stand jetzt nicht mehr der Tote und die Fürsorge für sein jenseitiges Leben (durch Totenmessen und Reliquienkult), sondern der Trost für die Hinterbliebenen. Grab und Friedhof verloren ihre Bedeutung als heiliger Kultraum. Das Zeitalter der Aufklärung verschärfte diese Tendenz. Neuzeitliche Friedhöfe sind weniger kultische Anlagen als vielmehr sanitäre Einrichtungen. Die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts und das damit verbundene starke Wachstum der Städte führte auch zur Erweiterung des Johannisfriedhofs und schließlich zur zusätzlichen Einrichtung des Westfriedhofs. Letzterer wurde als Waldfriedhof konzipiert und selbst der in seinem historischen Teil auf den ersten Blick so unverändert erscheinende Johannisfriedhof veränderte sich durch die sich immer mehr durchsetzende Idee des Parkfriedhofs. Während bis ca. 1900 (Abb. 3, 4, 6) das gärtnerische Element kaum eine Rolle spielte, machte es sich danach immer deutlicher durch Baumpflanzungen, Hochstammrosen und Blumenschalen bemerkbar (Abb. 7+9). Heute stellt der Friedhof eine innerstädtische Grünzone dar, die als Erholungsraum eine Rolle spielt. Die Entwicklung des Johannisfriedhofs ist eine Geschichte der "Übergänge". Meist spiegelt sie die alltägliche, vom Einzelnen kaum wahrnehmbare Evolution der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Bisweilen kommt es aber auch zu plötzlichen Veränderungen (Abb. 8), deren Spuren über Jahrzehnte ablesbar bleiben.
Die Ausstellung "Übergänge" findet nicht nur am Johannisfriedhof statt, sondern auch in der Sebalduskirche (deren historischer Bezug oben erläutert wurde), in der Friedenskirche (der heutigen Kirche der Gemeinde des Stadtteils Johannis) und in den Räumlichkeiten des Autohauses Minartz (die als "museale" Galerieräume dienen).
Die Idee "Übergänge" als aktuelles Thema:
Die Künstler, die sich am Projekt Übergänge – Kunstprojekt Johannisfriedhof beteiligen, wollen die Frage nach Tod und Leben neu aufwerfen. Ursprünglich war es die Künstlerin Birgit Ramsauer, die sich mit dem Ort "Johannisfriedhof" und dem Thema "Übergänge" schon länger in ihrem Werk intensiv beschäftigte. Für sie ergab sich aus persönlichen Erlebnissen der Wunsch, gerade an diesem Ort die künstlerische Auseinandersetzung mit den Fragen nach dem Tod und dem Leben zu suchen. Doch als sie sich Künstlerkollegen mitteilte, sprang bei manchem der Funke über. Eine Gruppe von Künstlern fand sich zusammen. Gerade die Verschiedenheit der einzelnen Künstler (in Arbeitsmethode und inhaltlicher Herangehensweise) wird der Vielschichtigkeit des selbstgestellten Themas gerecht. Übergänge ist ganz bewusst eine thematische Ausstellung. Aber das Thema wurde nicht von einem Kunsthistoriker oder von einem Ausstellungsmacher vorgegeben. Die Künstler nahmen sich des Themas an und machten es sich zu eigen.
Die Idee "Übergänge" als aktuelles Thema:
Die Künstler, die sich am Projekt Übergänge – Kunstprojekt Johannisfriedhof beteiligen, wollen die Frage nach Tod und Leben neu aufwerfen. Ursprünglich war es die Künstlerin Birgit Ramsauer, die sich mit dem Ort "Johannisfriedhof" und dem Thema "Übergänge" schon länger in ihrem Werk intensiv beschäftigte. Für sie ergab sich aus persönlichen Erlebnissen der Wunsch, gerade an diesem Ort die künstlerische Auseinandersetzung mit den Fragen nach dem Tod und dem Leben zu suchen. Doch als sie sich Künstlerkollegen mitteilte, sprang bei manchem der Funke über. Eine Gruppe von Künstlern fand sich zusammen. Gerade die Verschiedenheit der einzelnen Künstler (in Arbeitsmethode und inhaltlicher Herangehensweise) wird der Vielschichtigkeit des selbstgestellten Themas gerecht. Übergänge ist ganz bewusst eine thematische Ausstellung. Aber das Thema wurde nicht von einem Kunsthistoriker oder von einem Ausstellungsmacher vorgegeben. Die Künstler nahmen sich des Themas an und machten es sich zu eigen.