Texte
Ponte Cultura, deutsch-brasilianischer KulturaustauschGünter Braunsberg: Eine kulturelle Brücke zwischen Lateinamerika und Europa, in: Ponte Cultura. Europa-Brasilien. 10 Jahre-10 Anos, Lufthansa Cargo Halle, Flughafen Nürnberg 2000
Eine kulturelle Brücke zwischen Lateinamerika und Europa
Der rote Faden, der die Vergangenheit mit der Zukunft verbindet (vgl. die Umschlaggestaltung dieses Kataloges - vgl. die Abb. oben), wird bei Ponte Cultura geknüpft aus Workshops, Ausstellungsprojekten und Events, die bildende Kunst, Musik und Literatur zusammenführen.
Alles fing vor einem Jahrzehnt mit dem Workshop Sambaqui an, bei dem sich sechs Künstlerinnen entschlossen, gemeinsam ein selbstgestelltes Thema zu bearbeiten. Sie setzten sich mit den Sambaqui genannten Muschelbergen an der Küste Brasiliens auseinander. Um Natur, Kultur, Kunst drehten sich die Fragestellungen: die Muscheln sind ein Teil der Natur; die von Menschen angehäuften Muschelberge sind Relikte der "Ess"- bzw. "Alltags"-Kultur vergangener Jahrhunderte, bergen aber auch archäologisch interessante Artefakte. Formal dienten die vorgefundenen Gegenstände, die Küstenlandschaft, das Wasser als Ausgangspunkt für die entstandenen Arbeiten. Die Fokusierung auf ein ausgewähltes Thema und die Kommunikation innerhalb der kreativen Gruppe brachten für die einzelnen Künstlerinnen auf der Suche nach ihrem eigenen Weg einen großen Gewinn. Coca Rodriguez zum Beispiel entwickelte ihren von der Aquarellmalerei kommenden Ansatz in Richtung Collage und Assemblage weiter, indem sie Muscheln nicht nur als gemalte Schneckenformen, sondern auch als Abdruck ihrer Schale oder als unveränderten Gegenstand in den Kontext ihres WerkzyklusesSambaqui (vgl. die Abbildungen in diesem Katalog) integrierte.
Bereits während der Auseinandersetzung mit den kulturhistorisch interessanten Muschelbergen wurden Fragen angerissen, wie: Wo liegen die Wurzeln der heutigen Kunst Brasiliens? Gibt es innerhalb der internationalen Sprachen der zeitgenössischen Kunst einen typisch brasilianischen Akzent? Fragen, die 1991 als Folge des Vortrags Brasilien - Schmelztiegel der Kulturen (Dr. Inge Thieme, vgl. den Text in diesem Katalog) zu hitzigen Diskussionen innerhalb des inzwischen erweiterten Künstlerkreises von Ponte Cultura führten. Die brasilianischen Künstler wandten sich entschieden gegen eine "regionale" Deutung ihrer Kunst.
Zu Beginn der neunziger Jahre waren ihnen Beuys und die documenta viel wichtiger als die Frage nach den indianischen und afroamerikanischen Einflüssen. Die brasilianischen Künstler sahen sich als Teil des internationen Netzwerkes "Kunst". Statt sich ihren nationalen Wurzeln zuzuwenden, bauten sie lieber Brücken nach Europa und Nordamerika. Die Brücken nach Brasilien nicht abbrechen wollten andererseits diejenigen Künstler und Förderer der noch jungen Ponte Cultura, die Anfang der neunziger Jahre Sao Paulo nach mehrjährigen Aufenthalten wieder verließen um in ihr Heimatland Deutschland zurückzukehren. Auf diese Art und Weise entstand eine interkontinentale "Brücke" zweiseitiger Kommunikation.
Das erste große Ausstellungsprojekt, das Ponte Cultura in Europa organisierte, war Kunst + Identität, 1992. Diese Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen der brasilianischen Kunst umkreiste anhand von Kunstwerken, die durch Dr. Inge Thieme theoretisch aufgeworfenen Problemstellungen. In den folgenden Jahren entwickelten sich innerhalb des Programms von Ponte Cultura verschiedene Typen von Ausstellungen.
In Gruppenausstellungen wurden entweder brasilianische Künstler in Deutschland und umgekehrt deutsche Künstler in Brasilien vorgestellt - oder es traten ganz bewusst in einer Ausstellung lateinamerikanische und europäische Künstler gemeinsam auf. Besonders charakteristisch für Ponte Cultura ist aus meiner Sicht das Prinzip der "Klein-Gruppe" in Form interessanter Kombinationen von zwei bis drei Künstlern, die zueinander in Bezug gesetzt werden. Hier möchte ich beispielhaft die Ausstellung Sticheleien erwähnen, bei der die "artverwandten" und dennoch sehr individuellen Arbeiten von Brenda Baker (USA), Edith Derdyk (Brasilien), und Marianne Stüve (Deutschland), zusammentrafen. Projekte für Einzelausstellungen entstanden meist in enger Zusammenarbeit mit Galerien (zum Beispiel der Galerie Bi-Pi's in Köln oder der Galerie Arauco in Nürnberg).
Häufig wurde die bildende Kunst auch mit Literatur oder Musik verknüpft. Beispielhaft möchte ich hier hinweisen auf die Ausstellung Brasilien heute, 1994, in der diejenigen Arbeiten von Selma Daffrè gezeigt wurden, die sich auf Guimaraes Rosas Grande Sertao beziehen. Leben und Werk des brasilianischen Schriftstellers wurden in einer Lesung von Carlos Schünemann dargestellt. Zur Ausstellungseröffnung von Unterwegs - No Caminho, 1999, spielte im Temple d'Arpaillargues die Gruppe Klaus Treuheit (Piano), Walter Jaub (Schlagzeug), Denise Jeanrenaud (Gesang).
Trotz der zahlreichen Ausstellungsprojekte, die Ponte Cultura in den letzten Jahren organisierte oder zumindest mitgetragen hat, liegt der eigentliche Kern der kulturellen Aktivitäten der Gruppe nicht in diesem Bereich, sondern bei "Workshops". In Deutschland, Brasilien und Frankreich wurden Workshops durchgeführt, in deren Zentrum das Zusammenbringen von Menschen stand, die in ihrem Leben wie in ihrer Kunst ganz unterschiedliche persönliche Wurzeln haben. Durch die Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten des jeweiligen Gastlandes und des künstlerischen und menschlichen Potentials der beteiligten Persönlichkeiten werden Grenzen überwunden und neue Wege eröffnet. Die Workshops sind häufig in der einen oder anderen Weise mit Ausstellungsprojekten verknüpft, aber ihr eigentlicher Gewinn entwickelt sich erst langfristig, sowohl bezogen auf die einzelne Künstlerpersönlichkeit, als auch auf Ponte Cultura als Ganzes.
Ponte Cultura ist keine staatlich eingesetzte Instituition der Völkerverständigung! Vielmehr handelt es sich um ein kreatives Netzwerk, das sich aus einer ursprünglich recht kleinen Gruppe freundschaftlich verbundener Einzelpersonen entwickelte. Dabei definierte sich Ponte Cultura nie als abgeschlossener "Insider"-Kreis, sondern sah sich immer als kommunikativer Focus. Wenn wir Europäer uns einmal fragen: Was wissen wir über Brasilien? So stoßen wir gewöhnlich nur auf wenige Schlagworte und Fragen... "barbarische Urwaldzerstörungen" ..."unmenschlich behandelte Straßenkinder" ... "Kriminalität"... - ein Entwicklungsland? - eine Industrienation?
Die Veranstaltungen von Ponte Cultura ermöglichen es uns, unseren Horizont zu erweitern, eine andere Kulturnation zu erleben und neue Menschen kennenzulernen.
Eine kulturelle Brücke zwischen Lateinamerika und Europa
Der rote Faden, der die Vergangenheit mit der Zukunft verbindet (vgl. die Umschlaggestaltung dieses Kataloges - vgl. die Abb. oben), wird bei Ponte Cultura geknüpft aus Workshops, Ausstellungsprojekten und Events, die bildende Kunst, Musik und Literatur zusammenführen.
Alles fing vor einem Jahrzehnt mit dem Workshop Sambaqui an, bei dem sich sechs Künstlerinnen entschlossen, gemeinsam ein selbstgestelltes Thema zu bearbeiten. Sie setzten sich mit den Sambaqui genannten Muschelbergen an der Küste Brasiliens auseinander. Um Natur, Kultur, Kunst drehten sich die Fragestellungen: die Muscheln sind ein Teil der Natur; die von Menschen angehäuften Muschelberge sind Relikte der "Ess"- bzw. "Alltags"-Kultur vergangener Jahrhunderte, bergen aber auch archäologisch interessante Artefakte. Formal dienten die vorgefundenen Gegenstände, die Küstenlandschaft, das Wasser als Ausgangspunkt für die entstandenen Arbeiten. Die Fokusierung auf ein ausgewähltes Thema und die Kommunikation innerhalb der kreativen Gruppe brachten für die einzelnen Künstlerinnen auf der Suche nach ihrem eigenen Weg einen großen Gewinn. Coca Rodriguez zum Beispiel entwickelte ihren von der Aquarellmalerei kommenden Ansatz in Richtung Collage und Assemblage weiter, indem sie Muscheln nicht nur als gemalte Schneckenformen, sondern auch als Abdruck ihrer Schale oder als unveränderten Gegenstand in den Kontext ihres WerkzyklusesSambaqui (vgl. die Abbildungen in diesem Katalog) integrierte.
Bereits während der Auseinandersetzung mit den kulturhistorisch interessanten Muschelbergen wurden Fragen angerissen, wie: Wo liegen die Wurzeln der heutigen Kunst Brasiliens? Gibt es innerhalb der internationalen Sprachen der zeitgenössischen Kunst einen typisch brasilianischen Akzent? Fragen, die 1991 als Folge des Vortrags Brasilien - Schmelztiegel der Kulturen (Dr. Inge Thieme, vgl. den Text in diesem Katalog) zu hitzigen Diskussionen innerhalb des inzwischen erweiterten Künstlerkreises von Ponte Cultura führten. Die brasilianischen Künstler wandten sich entschieden gegen eine "regionale" Deutung ihrer Kunst.
Zu Beginn der neunziger Jahre waren ihnen Beuys und die documenta viel wichtiger als die Frage nach den indianischen und afroamerikanischen Einflüssen. Die brasilianischen Künstler sahen sich als Teil des internationen Netzwerkes "Kunst". Statt sich ihren nationalen Wurzeln zuzuwenden, bauten sie lieber Brücken nach Europa und Nordamerika. Die Brücken nach Brasilien nicht abbrechen wollten andererseits diejenigen Künstler und Förderer der noch jungen Ponte Cultura, die Anfang der neunziger Jahre Sao Paulo nach mehrjährigen Aufenthalten wieder verließen um in ihr Heimatland Deutschland zurückzukehren. Auf diese Art und Weise entstand eine interkontinentale "Brücke" zweiseitiger Kommunikation.
Das erste große Ausstellungsprojekt, das Ponte Cultura in Europa organisierte, war Kunst + Identität, 1992. Diese Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen der brasilianischen Kunst umkreiste anhand von Kunstwerken, die durch Dr. Inge Thieme theoretisch aufgeworfenen Problemstellungen. In den folgenden Jahren entwickelten sich innerhalb des Programms von Ponte Cultura verschiedene Typen von Ausstellungen.
In Gruppenausstellungen wurden entweder brasilianische Künstler in Deutschland und umgekehrt deutsche Künstler in Brasilien vorgestellt - oder es traten ganz bewusst in einer Ausstellung lateinamerikanische und europäische Künstler gemeinsam auf. Besonders charakteristisch für Ponte Cultura ist aus meiner Sicht das Prinzip der "Klein-Gruppe" in Form interessanter Kombinationen von zwei bis drei Künstlern, die zueinander in Bezug gesetzt werden. Hier möchte ich beispielhaft die Ausstellung Sticheleien erwähnen, bei der die "artverwandten" und dennoch sehr individuellen Arbeiten von Brenda Baker (USA), Edith Derdyk (Brasilien), und Marianne Stüve (Deutschland), zusammentrafen. Projekte für Einzelausstellungen entstanden meist in enger Zusammenarbeit mit Galerien (zum Beispiel der Galerie Bi-Pi's in Köln oder der Galerie Arauco in Nürnberg).
Häufig wurde die bildende Kunst auch mit Literatur oder Musik verknüpft. Beispielhaft möchte ich hier hinweisen auf die Ausstellung Brasilien heute, 1994, in der diejenigen Arbeiten von Selma Daffrè gezeigt wurden, die sich auf Guimaraes Rosas Grande Sertao beziehen. Leben und Werk des brasilianischen Schriftstellers wurden in einer Lesung von Carlos Schünemann dargestellt. Zur Ausstellungseröffnung von Unterwegs - No Caminho, 1999, spielte im Temple d'Arpaillargues die Gruppe Klaus Treuheit (Piano), Walter Jaub (Schlagzeug), Denise Jeanrenaud (Gesang).
Trotz der zahlreichen Ausstellungsprojekte, die Ponte Cultura in den letzten Jahren organisierte oder zumindest mitgetragen hat, liegt der eigentliche Kern der kulturellen Aktivitäten der Gruppe nicht in diesem Bereich, sondern bei "Workshops". In Deutschland, Brasilien und Frankreich wurden Workshops durchgeführt, in deren Zentrum das Zusammenbringen von Menschen stand, die in ihrem Leben wie in ihrer Kunst ganz unterschiedliche persönliche Wurzeln haben. Durch die Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten des jeweiligen Gastlandes und des künstlerischen und menschlichen Potentials der beteiligten Persönlichkeiten werden Grenzen überwunden und neue Wege eröffnet. Die Workshops sind häufig in der einen oder anderen Weise mit Ausstellungsprojekten verknüpft, aber ihr eigentlicher Gewinn entwickelt sich erst langfristig, sowohl bezogen auf die einzelne Künstlerpersönlichkeit, als auch auf Ponte Cultura als Ganzes.
Ponte Cultura ist keine staatlich eingesetzte Instituition der Völkerverständigung! Vielmehr handelt es sich um ein kreatives Netzwerk, das sich aus einer ursprünglich recht kleinen Gruppe freundschaftlich verbundener Einzelpersonen entwickelte. Dabei definierte sich Ponte Cultura nie als abgeschlossener "Insider"-Kreis, sondern sah sich immer als kommunikativer Focus. Wenn wir Europäer uns einmal fragen: Was wissen wir über Brasilien? So stoßen wir gewöhnlich nur auf wenige Schlagworte und Fragen... "barbarische Urwaldzerstörungen" ..."unmenschlich behandelte Straßenkinder" ... "Kriminalität"... - ein Entwicklungsland? - eine Industrienation?
Die Veranstaltungen von Ponte Cultura ermöglichen es uns, unseren Horizont zu erweitern, eine andere Kulturnation zu erleben und neue Menschen kennenzulernen.