Francoise Morellet
Günter Braunsberg: Francois Morellet. 1 carré et sa diagonale, 1/4 de cercle et son rayon
(Ein Quadrat und seine Diagonale, ein Viertelkreis und sein Radius), 1985
in: AUS DER SAMMLUNG. Skizze fünf, Kunsthalle Nürnberg 1992, S. 9
1 carré et sa diagonale, 1/4 de cercle et son rayon, 1985
Neonröhren, Elektrokabel und Transformator, 212 x 300 x 150 cm, Werknummer 85017
Die Ecole de Paris der fünfziger Jahre wurde vom Tachismus geprägt, der auf psychisch-poetische Improvisation und malerischen Automatismus aufbaute und durch formale Freiheit, Subjektivität und Emotionalität geprägt war. Francois Morellet stellte damals innerhalb der französischen Kunst einen nahezu singulären Gegenpol dar, indem er sich auf die vollständig kalkulierte und systematisierte Konkrete Kunst bezog, deren Theorien auf Théo van Doesburg zurückgehen. Morellet hatte 1951 Werke von Max Bill auf der Biennale in Sao Paulo kennengelernt und von da ab seine eigene Arbeit einer strengen Systematik unterworfen:
Das Ergebnis interessiert mich eindeutig weniger als das System selbst.
In 1 carré et sa diagonale, 1/4 de cercle et son rayon nimmt Morellet Bezug auf eine von der Architektur vorgegebene Raumecke, in der (wie gewöhnlich) drei Flächen rechtwinklig aneinanderstoßen. Er interpretiert ihre Schnittkanten als mathematische x-y-z-Achsen, durch die die Künstler-geschaffenen Flächenfiguren zueinander in Beziehung gesetzt werden:
ein Quadrat an der linken Wand, ein Viertelkreis an der rechten und ein gleichschenkliges Dreieck am Fußboden. Alle Flächenformen entstehen nur durch die Kennzeichnung ihrer Begrenzungslinien, einerseits mit Hilfe der Raumkanten, andererseits durch die Anordnung zweier Neonröhren und ihrer Verbindungskabel. Es fällt auf, dass der Transformator als technisches Gerät deutlich sichtbar bleibt und einen massiven, körperhaften Gegenpol zur fragilien Linienstruktur bildet.
In den sechziger Jahren wollte ich mit der Zeit spielen, mit Rhythmen, die flüchtige Strukturen erstehen ließen, abwandelten und wieder zerstörten. Transformatoren und Drähte erschienen mir viel zu materiell und schwer, um in dieses Ballett integriert zu werden. Außer den Neonröhren war alles versteckt worden. Aber inzwischen hat sich meine Fragestellung geändert. Es macht mir Spaß, alles zu zeigen, wenn auch nicht willkürlich und beliebig. Drähte und Transformatoren werden so in gleicher Weise wie die Röhren Bestandteil der Geometrie der Werke.
Aus diesen Künstleräußerungen von 1986 geht hervor, dass Morellets Neonarbeiten im Laufe ihrer Entwicklung unterschiedlich strukturiert waren. Die ersten, 1963 entstandenen, verbanden konkrete Grundprinzipien mit kinetischen Zielsetzungen, d. h. in zeitlicher Reihenfolge konnten verschiedenen Stadien eines Systems gezeigt werden, wobei die Betrachter in die Schaltung der Werke eingriffen. In den achtziger Jahren dominierten wieder statische Werke, die dem konkreten Ausgangspunkt sehr nahe kommen. Sie repräsentieren Morellets Grundprinzipien: Anonymität, Homogenität und Präzision der Form, die durch die Zerstörung des Mythos vom genialen Künstler eine unmittelbare Beziehung zwischen Werk und Betrachter herstellen wollen.
(Ein Quadrat und seine Diagonale, ein Viertelkreis und sein Radius), 1985
in: AUS DER SAMMLUNG. Skizze fünf, Kunsthalle Nürnberg 1992, S. 9
1 carré et sa diagonale, 1/4 de cercle et son rayon, 1985
Neonröhren, Elektrokabel und Transformator, 212 x 300 x 150 cm, Werknummer 85017
Die Ecole de Paris der fünfziger Jahre wurde vom Tachismus geprägt, der auf psychisch-poetische Improvisation und malerischen Automatismus aufbaute und durch formale Freiheit, Subjektivität und Emotionalität geprägt war. Francois Morellet stellte damals innerhalb der französischen Kunst einen nahezu singulären Gegenpol dar, indem er sich auf die vollständig kalkulierte und systematisierte Konkrete Kunst bezog, deren Theorien auf Théo van Doesburg zurückgehen. Morellet hatte 1951 Werke von Max Bill auf der Biennale in Sao Paulo kennengelernt und von da ab seine eigene Arbeit einer strengen Systematik unterworfen:
Das Ergebnis interessiert mich eindeutig weniger als das System selbst.
In 1 carré et sa diagonale, 1/4 de cercle et son rayon nimmt Morellet Bezug auf eine von der Architektur vorgegebene Raumecke, in der (wie gewöhnlich) drei Flächen rechtwinklig aneinanderstoßen. Er interpretiert ihre Schnittkanten als mathematische x-y-z-Achsen, durch die die Künstler-geschaffenen Flächenfiguren zueinander in Beziehung gesetzt werden:
ein Quadrat an der linken Wand, ein Viertelkreis an der rechten und ein gleichschenkliges Dreieck am Fußboden. Alle Flächenformen entstehen nur durch die Kennzeichnung ihrer Begrenzungslinien, einerseits mit Hilfe der Raumkanten, andererseits durch die Anordnung zweier Neonröhren und ihrer Verbindungskabel. Es fällt auf, dass der Transformator als technisches Gerät deutlich sichtbar bleibt und einen massiven, körperhaften Gegenpol zur fragilien Linienstruktur bildet.
In den sechziger Jahren wollte ich mit der Zeit spielen, mit Rhythmen, die flüchtige Strukturen erstehen ließen, abwandelten und wieder zerstörten. Transformatoren und Drähte erschienen mir viel zu materiell und schwer, um in dieses Ballett integriert zu werden. Außer den Neonröhren war alles versteckt worden. Aber inzwischen hat sich meine Fragestellung geändert. Es macht mir Spaß, alles zu zeigen, wenn auch nicht willkürlich und beliebig. Drähte und Transformatoren werden so in gleicher Weise wie die Röhren Bestandteil der Geometrie der Werke.
Aus diesen Künstleräußerungen von 1986 geht hervor, dass Morellets Neonarbeiten im Laufe ihrer Entwicklung unterschiedlich strukturiert waren. Die ersten, 1963 entstandenen, verbanden konkrete Grundprinzipien mit kinetischen Zielsetzungen, d. h. in zeitlicher Reihenfolge konnten verschiedenen Stadien eines Systems gezeigt werden, wobei die Betrachter in die Schaltung der Werke eingriffen. In den achtziger Jahren dominierten wieder statische Werke, die dem konkreten Ausgangspunkt sehr nahe kommen. Sie repräsentieren Morellets Grundprinzipien: Anonymität, Homogenität und Präzision der Form, die durch die Zerstörung des Mythos vom genialen Künstler eine unmittelbare Beziehung zwischen Werk und Betrachter herstellen wollen.