Gerhard Wendland
Günter Braunsberg: Gerhard Wendland und Nürnberg, in: Andrea Dippel, Matthias Strobel (Hg.): Gerhard Wendland. Das druckgrafische Werk, Ausst. Kat. Kunstvilla im KunstKulturQuartier, Nürnberg. Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2010, S. 42 – S. 53
Gerhard Wendland und Nürnberg
Am 1. November 1960 folgte der aus Hannover stammende Künstler Gerhard Wendland einer Berufung an den Lehrstuhl für freie Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Nach zwei Jahren wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. Von da an nahm er nicht nur seine Aufgaben als Dozent in Nürnberg wahr, sondern verlegte auch seinen Wohnsitz und sein Atelier in die mittelfränkische Metropole. Er bestimmte fortan aktiv das Kulturleben seiner Wahlheimat. Doch das Thema Wendland und Nürnberg beginnt nicht erst 1960, sondern erstaunlicherweise bereits ein Jahrzehnt zuvor. Aus Rezensionen und biografischen Daten in Ausstellungskatalogen ergibt sich die Frage: Hatte er bereits 1949 eine Einzelausstellung in Nürnberg? (F1)
Wendland nahm 1949 am Deutschen Kunstpreisausschreiben teil. Dieser Kunstpreis ging auf den amerikanischen Kunstmäzen Blevin Davis zurück, der im September 1949 einen fünfstelligen Dollar-Scheck zur Förderung junger deutscher Maler und Grafiker bei der amerikanischen Hohen Kommission hinterlegt hatte. (F2) Alle "deutschen Kunstmaler im Alter von 18 bis 40 Jahren"(F3) konnten an der Ausschreibung teilnehmen. Aus der großen Anzahl von 3.649 Einsendungen wurden eine vergleichsweise geringe Anzahl von 175 Exponaten ausgewählt. Darunter waren zwei Arbeiten von Gerhard Wendland, der über seine Teilnahme mit einem englischsprachigen Telegramm informiert wurde. (Abb.1) (F4) Die Ausstellungseröffnung fand dann am 15. Februar 1950 in München statt. (F5)
Gerhard Wendland und Nürnberg
Am 1. November 1960 folgte der aus Hannover stammende Künstler Gerhard Wendland einer Berufung an den Lehrstuhl für freie Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Nach zwei Jahren wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. Von da an nahm er nicht nur seine Aufgaben als Dozent in Nürnberg wahr, sondern verlegte auch seinen Wohnsitz und sein Atelier in die mittelfränkische Metropole. Er bestimmte fortan aktiv das Kulturleben seiner Wahlheimat. Doch das Thema Wendland und Nürnberg beginnt nicht erst 1960, sondern erstaunlicherweise bereits ein Jahrzehnt zuvor. Aus Rezensionen und biografischen Daten in Ausstellungskatalogen ergibt sich die Frage: Hatte er bereits 1949 eine Einzelausstellung in Nürnberg? (F1)
Wendland nahm 1949 am Deutschen Kunstpreisausschreiben teil. Dieser Kunstpreis ging auf den amerikanischen Kunstmäzen Blevin Davis zurück, der im September 1949 einen fünfstelligen Dollar-Scheck zur Förderung junger deutscher Maler und Grafiker bei der amerikanischen Hohen Kommission hinterlegt hatte. (F2) Alle "deutschen Kunstmaler im Alter von 18 bis 40 Jahren"(F3) konnten an der Ausschreibung teilnehmen. Aus der großen Anzahl von 3.649 Einsendungen wurden eine vergleichsweise geringe Anzahl von 175 Exponaten ausgewählt. Darunter waren zwei Arbeiten von Gerhard Wendland, der über seine Teilnahme mit einem englischsprachigen Telegramm informiert wurde. (Abb.1) (F4) Die Ausstellungseröffnung fand dann am 15. Februar 1950 in München statt. (F5)
Für Wendland stellte diese Ausstellungsbeteiligung den künstlerischen Durchbruch dar, denn kurz darauf präsentierte die Galerie Schwoon in Oldenburg, im Anschluss an eine Ausstellung mit Picasso-Grafik, die erste Einzelausstellung mit Wendlands neuen, nach seiner 1947 erfolgten Rückkehr aus britischer Kriegsgefangenschaft entstandenen Arbeiten. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb dazu: „Die Galerie Schwoon in Oldenburg zeigt als erste eine Kollektion von Arbeiten des Hannoverschen Malers Gerhard Wendland, von dem zwei Bilder bei dem kürzlichen amerikanischen Wettbewerb in München ausgesucht wurden. Nur ein kleiner Kreis wusste bislang von dem Durchbruch des vierzigjährigen Künstlers zu einem konzentrierten Ausdruck und einem neuen Formsinn. Das in Jahresfrist entstandene umfangreiche Zeugnis dieses Aufbruchs kennt nur einen Gegenstand: den Menschen. Unablässig durchforscht er über sich uns selbst.“(F6)
Der Maler und Galerist Karl Schwoon, der von 1929 bis 1931 am Bauhaus bei Paul Klee, Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer studiert hatte, war von 1946 bis 1947 Geschäftsführer des Oldenburger Kunstvereins. Ab 1947 führte er eine eigene Galerie, die er aber nach wenigen Jahren aus finanziellen Gründen wieder schließen musste. Er setzte sich intensiv dafür ein, dass Wendlands Arbeiten an möglichst vielen anderen Orten gezeigt wurden. Beispielhaft lassen sich diese Aktivitäten aus einem Brief des Galeristen an den Künstler ablesen: „Galerie Egon Günther in Mannheim ist mir bekannt; [...] Karl Otto Götz war also auch begeistert? [...] An Oberst.Direktor Hölle will ich ebenfalls schreiben, man muss das Feuer immer wieder anfachen, bis es brennt. [...] In Frankfurt habe ich mit der Zimmergalerie Franck Verbindung aufgenommen [...]. Dann habe ich eine neue Verbindung nach Nürnberg aufgenommen und dort ebenfalls eine Wendland-Ausstellung vorgeschlagen.“(F7)
Bei dieser neuen Verbindung nach Nürnberg dürfte es sich um Heinrich Georg Neuhaus gehandelt haben, der offensichtlich bereits 1950 in Nürnberg Das Kleine Atelier für eine eigene Wendland-Präsentation nutzte und 1951 maßgeblich bei Wendlands Einzelausstellung auf zwei Etagen des Nürnberger Amerika-Hauses beteiligt war. (F8)
Der Ausgangspunkt dieser Nürnberger Ausstellungen war das amerikanische Preisausschreiben von 1949, dem sich eine mehr oder weniger von der Galerie Schwoon initiierte Ausstellungstournée durch mehrere deutsche Städte anschloss. Deshalb wurden diese Ausstellungen in Katalogübersichten (und in darauf fußenden Publikationen) des Öfteren unter der Jahreszahl 1949 zusammengefasst. (F9)
Der Maler und Galerist Karl Schwoon, der von 1929 bis 1931 am Bauhaus bei Paul Klee, Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer studiert hatte, war von 1946 bis 1947 Geschäftsführer des Oldenburger Kunstvereins. Ab 1947 führte er eine eigene Galerie, die er aber nach wenigen Jahren aus finanziellen Gründen wieder schließen musste. Er setzte sich intensiv dafür ein, dass Wendlands Arbeiten an möglichst vielen anderen Orten gezeigt wurden. Beispielhaft lassen sich diese Aktivitäten aus einem Brief des Galeristen an den Künstler ablesen: „Galerie Egon Günther in Mannheim ist mir bekannt; [...] Karl Otto Götz war also auch begeistert? [...] An Oberst.Direktor Hölle will ich ebenfalls schreiben, man muss das Feuer immer wieder anfachen, bis es brennt. [...] In Frankfurt habe ich mit der Zimmergalerie Franck Verbindung aufgenommen [...]. Dann habe ich eine neue Verbindung nach Nürnberg aufgenommen und dort ebenfalls eine Wendland-Ausstellung vorgeschlagen.“(F7)
Bei dieser neuen Verbindung nach Nürnberg dürfte es sich um Heinrich Georg Neuhaus gehandelt haben, der offensichtlich bereits 1950 in Nürnberg Das Kleine Atelier für eine eigene Wendland-Präsentation nutzte und 1951 maßgeblich bei Wendlands Einzelausstellung auf zwei Etagen des Nürnberger Amerika-Hauses beteiligt war. (F8)
Der Ausgangspunkt dieser Nürnberger Ausstellungen war das amerikanische Preisausschreiben von 1949, dem sich eine mehr oder weniger von der Galerie Schwoon initiierte Ausstellungstournée durch mehrere deutsche Städte anschloss. Deshalb wurden diese Ausstellungen in Katalogübersichten (und in darauf fußenden Publikationen) des Öfteren unter der Jahreszahl 1949 zusammengefasst. (F9)
Wendlands Arbeiten der frühen 1950er Jahre im Spiegel zeitgenössischer Rezensionen
Was faszinierte in den frühen fünfziger Jahren die Betrachter an Wendlands Arbeiten? Als erstes sei hier Heinrich Georg Neuhaus zitiert, der seine Begeisterung über die von Wendland für die Nürnberger Ausstellung geschickten Arbeiten in einem Brief an den Künstler schilderte:
„Hab mich riesig gefreut und bin überrascht über die Vielfalt der Arbeiten. Ich habe bis jetzt nur einige Reproduktionen von Ihnen gesehen, bez. die Arbeiten in München. Zwar haben diese wenigen Dinge mir gesagt, das ist der Richtige für dich, freute mich aber um so mehr, dass all die Bilder mir noch mehr gaben, als die schon gesehenen. [...] Ich freu mich jedenfalls mächtig auf Ihre Ausstellung, die am Montag aufgemacht wird.“(F10)
Eine ganze Reihe von Zeitungsartikeln schildern den Charakter der um 1950 vielerorts gezeigten Gemälde Wendlands: „Für einen Augenblick stockt dem Besucher der Atem, [...] auf der in Ocker und rötlichem Braun gehaltenen Szene Überall sind welche (Abb. 3) türmen sich schemenhafte menschliche Figuren und flüchtig angedeutete himmelhohe Häuser übereinander. [...] Neben dem qualvoll Bedrückenden der Visionen dieses Malers findet sich, wenn auch vereinzelt, spielerische Komik [...]. Mutig deckt er [Wendland] die Grundsituation des modernen Menschen auf, der in Furcht vor dem drohenden Chaos dahinlebt - auf der Suche nach einem neuen metaphysischen Halt.“(F11)
Was faszinierte in den frühen fünfziger Jahren die Betrachter an Wendlands Arbeiten? Als erstes sei hier Heinrich Georg Neuhaus zitiert, der seine Begeisterung über die von Wendland für die Nürnberger Ausstellung geschickten Arbeiten in einem Brief an den Künstler schilderte:
„Hab mich riesig gefreut und bin überrascht über die Vielfalt der Arbeiten. Ich habe bis jetzt nur einige Reproduktionen von Ihnen gesehen, bez. die Arbeiten in München. Zwar haben diese wenigen Dinge mir gesagt, das ist der Richtige für dich, freute mich aber um so mehr, dass all die Bilder mir noch mehr gaben, als die schon gesehenen. [...] Ich freu mich jedenfalls mächtig auf Ihre Ausstellung, die am Montag aufgemacht wird.“(F10)
Eine ganze Reihe von Zeitungsartikeln schildern den Charakter der um 1950 vielerorts gezeigten Gemälde Wendlands: „Für einen Augenblick stockt dem Besucher der Atem, [...] auf der in Ocker und rötlichem Braun gehaltenen Szene Überall sind welche (Abb. 3) türmen sich schemenhafte menschliche Figuren und flüchtig angedeutete himmelhohe Häuser übereinander. [...] Neben dem qualvoll Bedrückenden der Visionen dieses Malers findet sich, wenn auch vereinzelt, spielerische Komik [...]. Mutig deckt er [Wendland] die Grundsituation des modernen Menschen auf, der in Furcht vor dem drohenden Chaos dahinlebt - auf der Suche nach einem neuen metaphysischen Halt.“(F11)
„Eins der Bilder heisst Angst; eine gereihte, zusammengedrängte Gruppe von Menschen, die die Arme heben oder ergeben sinken lassen. Angst, irgendein dunkles Entsetzen ließ diesen Menschenklumpen gerinnen. Angstvisionen, Alpdruck, seelisches Schrecknis scheint dem Betrachter zunächst alles zu sein, was an den Wänden hängt. [...] Ist hier einer ausgezogen, der uns das Gruseln lehren will? Man wird Wendland unter diesem Gesichtspunkt sehen dürfen, aber nur, wenn man zugleich anerkennt, dass in diesen Bildern sehr ernste Aussagen gemacht werden über unsere Zeit, ihre Bedrängnisse, Fragwürdigkeiten und Verzweiflungen und über den Menschen, der all dem ausgeliefert ist. Als ein rechter Hans Ohnefurcht stellt sich dieser Maler den Gespenstern und Dämonen, die aus unserer Menschentrümmerwelt aufgestiegen sind. [...] Malerisch - der Betrachter, der sich allmählich von der reinen Betrachtung und Erkundung des Bildinhaltes löst, stellt fest, dass Wendland eine sehr bemerkenswerte, überzeugende, der unheimlichen Thematik angemessene Farbigkeit und auch sonst eine sehr konsequente Formsprache entwickelt hat.“
„Der Maler hat sich um die zeitgenössische Existenzphilosophie bemüht und bezieht seine visionären Einfälle konsequent auf denkerisch analysierte und formulierte Eigenschaften menschlichen Daseins. Die farbigen Arbeiten bieten sich sehr gedämpft dar und liegen wie unter der Dunstschicht des Unbewussten. In der gelbbraun gehaltenen Ölarbeit Überall sind welche wird das Heideggersche „man“ im ameisenhaften Über- und Unterkrabbeln der in Mietskasernen eingeschlossenen Menschheit sinnfällig erlebt [...]. Menschen sind hilflos wie ein Teppichgewebe ineinander verstrickt. (Abb.4) [...] Kühnheit und Kraft der Vision wird man diesen Bildern nicht absprechen; es sind Grundstimmungen des Zeitgenössischen, die mit hartem Griff angepackt werden. Doch nirgends erscheint ein Ausweg. Die Farben Wendlands glimmen lustlos mit vergeblicher Brunst, die Figuren schlängeln sich in grotesken Deformationen wie in der Hölle Sartres."(F12)
Aus den Stimmen der Zeit ergibt sich, dass Wendland, der zuvor eher „harmlose“ Figuren- und Landschaftsbilder gemalt hatte, in den späten vierziger Jahren zu einem charakteristischen Vertreter der Nachkriegsgeneration geworden war, dessen neue Bildfindungen in den Kontext des damals aktuellen Existentialismus gestellt wurden. Eine sehr unmittelbare Wirkung auf die damaligen Betrachter ist deutlich aus den damaligen Rezensionen herauszuhören.
Wendlands Berufung an die Nürnberger Akademie der Bildenden Künste
Inwieweit Wendlands Einzelausstellungen der frühen1950er Jahre in Nürnberg Spuren hinterlassen haben, lässt sich anhand der wenigen überlieferten Dokumente derzeit nicht abschließend beurteilen. Auffällig ist, dass Wendland 1960, als es darum ging, einen neuen Professor für freie Malerei an die Akademie der Bildenden Künste zu berufen, wichtigen Vertretern der Nürnberger Kunstszene kaum bekannt war. So schrieb Curt Heigl, der sich bereits damals maßgeblich für moderne und zeitgenössische Kunst engagierte, in einem Rückblick:
„Die erste Begegnung mit einem Menschen, einem fremden Land, einem Werk der bildenden Kunst oder der Musik kann für das ganze Leben bestimmend sein. So erging es mir mit Gerhard Wendland und seinem Werk. [...] Seit Ende der fünfziger Jahre führten mich mein Weg und mein Interesse häufiger in die Akademie der Bildenden Künste. Nächtelange, heftigste Diskussionen mit [...] Otto Michael Schmitt und einigen seiner Kollegen waren die Regel. [...] Als wir wieder einmal über die zeitgenössische Kunst diskutierten, über die Aufgaben und Möglichkeiten einer Kunstakademie nach einem 1000jährigen Reich, legte er mir in den frühen Morgenstunden besagte „Wendland-Mappe“ auf den Tisch, öffnete sie und sagte: „Was halten Sie davon, Heigl?“. [...] Erst nachdem ich die einzelnen Blätter des Künstlers lange schweigend betrachtet und mich mit seinem Zeichen- und Farbduktus vertraut gemacht hatte, vertrat ich die Auffassung, dass eine solche Auffrischung und Erneuerung sicher nicht zum Nachteil für eine Kunsthochschule sei. Vielleicht konnte dieses Gespräch mithelfen, die letzte Sperre zur Berufung zu beseitigen.“
„Wendland - ein barocker Klee“(F14), so charakterisierte Curt Heigl im gleichen Text die Arbeiten der „Wendland-Mappe“. Damit stellte er den Künstler in ähnlicher Weise in die Nachfolge der Klassischen Moderne wie dies Werner Schmalenbach tat, der den Künstler Mitte der fünfziger Jahre kennengelernt hatte und drei seiner Bilder 1959 auf der II. dokumenta zeigte. (F15) Innerhalb des zurückliegenden Jahrzehnts hatte sich Wendland zu einem Hauptvertreter der abstrakten Kunst in Deutschland entwickelt. Die existentiellen Nachkriegsthemen waren mehr und mehr in den Hintergrund getreten und machten Platz für Heiterkeit und „Musikalität“, die immer wieder als Charakteristika seiner Kunst herausgestellt wurden:
„Wendlands Kunst ist ein Spiel mit kleinen Formen. [...] Ein umfangreiches, aber doch überschaubares Formenalphabet wird zu immer neuen farbigen Liedern, Gesängen und Tänzen gewirkt, um den Augen einen festlichen Schmaus zu bereiten. [...] Dabei ist seine heitere Bildwelt zuweilen auch von unholdem Spuk bedroht, doch gewinnt dieser an keiner Stelle die Oberhand. Denn alle Schöpfung muss bei diesem Maler voller Güte sein. Seine so ohne Einschränkung liebenswerten Bilder Zur Schöpfungsgeschichte sind wie auf der Gambe gespielt.“(F16) (Abb. 5)
Für die Nürnberger Akademie der Bildenden Künste stellte Wendlands Berufung eine „Auffrischung und Erneuerung“ dar. Die traditionsreiche, 1662 gegründete Institution darf sich rühmen, die älteste Akademie im deutschsprachigen Raum zu sein. König Ludwig I hatte sie allerdings auf den Rang einer Kunstschule herabgestuft, um allein München mit einer Akademie der bildenden Künste auszuzeichnen. Seine Hauptstadt sollte zum einzigen Kunstzentrum in Bayern ausgebaut werden. Erst 1942 wurde die Nürnberger Kunstgewerbeschule bzw. Staatsschule für Angewandte Kunst wieder in den Rang einer Akademie der Bildenden Künste erhoben, wie es der damaligen Bedeutung der „Stadt der Reichsparteitage“ entsprach.
In den 1950er und 1960er Jahren war der Lehrbetrieb der Akademie noch weitgehend von der akademischen Tradition geprägt. Der oben erwähnte Professor Otto Michael Schmitt lehrte zum Beispiel in seiner Klasse für Wandmalerei Proportionslehre anhand des Gekreuzigten oder Auferstandenen. (F17)
Professor Hans Wimmer, dem es durch den Rückgriff auf antike Vorbilder und auf bestimmte Tendenzen der klassischen Moderne (namentlich Wilhelm Lehmbruck) gelungen war die ideologisch geprägte Kunst des Nationalsozialismus zu überwinden und die figürliche Bildhauerei als Gattung neu zu beleben, lehrte mit Hilfe von Antikenstudium und Aktzeichnen.
Professor Fritz Griebel profilierte sich vor allem mit Gemälden von Menschengruppen in friedvoller Umgebung, wobei sein Gefühl für Form und Harmonie sowohl auf antikisierenden Kompositionsprinzipien als auch auf Cézannes Motiv der Badenden basierte. Er bereicherte „die Landschaftsmalerei durch neue Ausgangspunkte“(F18) und zeigte vor allem in seinen Scherenschnitten der 1950er und 1960er Jahre abstrahierende Tendenzen im Umgang mit dem Menschenbild.
Professor Hermann Wilhelm unterstützte in den Jahren nach dem Krieg seine Studenten darin, sich die Malerei der Klassischen Moderne, insbesondere den deutschen Expressionismus der 1910er und 1920er Jahre, anzueignen und auf dieser Grundlage einen neuen Weg für sich selbst zu finden (beispielhaft sind hier seine Schüler Oskar Koller und Christian Kruck zu nennen). Seine eigenen Stilleben, Landschaftsbilder und Porträts lassen häufig an sein Vorbild Matisse denken.
Im Kontext dieser Professorenschaft, die noch durch die Bereiche Angewandte Kunst, Innenarchitektur und Architektur zu ergänzen wäre, war Wendlands ungegenständliche Malerei in der Tat nicht nur eine „Auffrischung und Erneuerung“, sondern seine Berufung stellte eine damals an Akademien noch unübliche Zeitgenossenschaft her. Dies empfand zum Beispiel auch Christa Rudloff, die im Sommersemester 1961 von der Frankfurter an die Nürnberger Akademie wechselte, nachdem sie in einer Galerie die aktuellen Bilder von Gerhard Wendland gesehen hatte. Es ging ihr dabei um neue Impulse für ihre eigene künstlerische Entwicklung.(F19)
Wendland und die Gruppe N
Ende 1960 kam nicht nur Gerhard Wendland nach Nürnberg, sondern auch Joachim Warm, welcher zuvor in Berlin unter anderem Marktforschung studiert hatte und anhand einer Deutschlandkarte einen Ort suchte, an dem es noch keine Galerie für zeitgenössische Kunst und Design gab. In Nürnberg wurde er fündig („ein totales Vakuum auf dem Kunstsektor“)(F20). Deshalb zog er nach Nürnberg und gründete, unterstützt von anderen idealistisch eingestellten jungen Männern die Neue Nürnberger Galerie (später Mobilia Galerie). Toni Burghart würdigte diese Galerie, die sich rasch zur Institution entwickelte, im Rückblick wie folgt: „[...] ohne jede Vorwarnung knallte die mobilia den Nürnbergern die moderne Kunst vor den Latz. [...] Keine städtische oder sonstige Institution zeigte damals so was. Ja, man kann sagen: ohne mobilia hätte die moderne Kunst in Nürnberg gar nicht stattgefunden - oder erst dann, wenn sie vorbei gewesen wäre.“(F21) Joachim Warm schreibt: „Gezeigt wurden in der Galerie regelmäßige Ausstellungen von Gegenwartskunst - im Rahmen der damaligen bescheidenen Möglichkeiten zwar, aber überregional, ja international orientiert. [...] Es fand sich im Umfeld der neu gegründeten Galerie ein Kreis progressiver junger Künstler aus der Region unter Führung von Gerhard Wendland [...]. Beteiligt waren die Maler Toni Burghart, Franz Vornberger, Egon Eppich, Max Söllner und Arnold Leissler.“(F22) (Abb. 6)
„Der Maler hat sich um die zeitgenössische Existenzphilosophie bemüht und bezieht seine visionären Einfälle konsequent auf denkerisch analysierte und formulierte Eigenschaften menschlichen Daseins. Die farbigen Arbeiten bieten sich sehr gedämpft dar und liegen wie unter der Dunstschicht des Unbewussten. In der gelbbraun gehaltenen Ölarbeit Überall sind welche wird das Heideggersche „man“ im ameisenhaften Über- und Unterkrabbeln der in Mietskasernen eingeschlossenen Menschheit sinnfällig erlebt [...]. Menschen sind hilflos wie ein Teppichgewebe ineinander verstrickt. (Abb.4) [...] Kühnheit und Kraft der Vision wird man diesen Bildern nicht absprechen; es sind Grundstimmungen des Zeitgenössischen, die mit hartem Griff angepackt werden. Doch nirgends erscheint ein Ausweg. Die Farben Wendlands glimmen lustlos mit vergeblicher Brunst, die Figuren schlängeln sich in grotesken Deformationen wie in der Hölle Sartres."(F12)
Aus den Stimmen der Zeit ergibt sich, dass Wendland, der zuvor eher „harmlose“ Figuren- und Landschaftsbilder gemalt hatte, in den späten vierziger Jahren zu einem charakteristischen Vertreter der Nachkriegsgeneration geworden war, dessen neue Bildfindungen in den Kontext des damals aktuellen Existentialismus gestellt wurden. Eine sehr unmittelbare Wirkung auf die damaligen Betrachter ist deutlich aus den damaligen Rezensionen herauszuhören.
Wendlands Berufung an die Nürnberger Akademie der Bildenden Künste
Inwieweit Wendlands Einzelausstellungen der frühen1950er Jahre in Nürnberg Spuren hinterlassen haben, lässt sich anhand der wenigen überlieferten Dokumente derzeit nicht abschließend beurteilen. Auffällig ist, dass Wendland 1960, als es darum ging, einen neuen Professor für freie Malerei an die Akademie der Bildenden Künste zu berufen, wichtigen Vertretern der Nürnberger Kunstszene kaum bekannt war. So schrieb Curt Heigl, der sich bereits damals maßgeblich für moderne und zeitgenössische Kunst engagierte, in einem Rückblick:
„Die erste Begegnung mit einem Menschen, einem fremden Land, einem Werk der bildenden Kunst oder der Musik kann für das ganze Leben bestimmend sein. So erging es mir mit Gerhard Wendland und seinem Werk. [...] Seit Ende der fünfziger Jahre führten mich mein Weg und mein Interesse häufiger in die Akademie der Bildenden Künste. Nächtelange, heftigste Diskussionen mit [...] Otto Michael Schmitt und einigen seiner Kollegen waren die Regel. [...] Als wir wieder einmal über die zeitgenössische Kunst diskutierten, über die Aufgaben und Möglichkeiten einer Kunstakademie nach einem 1000jährigen Reich, legte er mir in den frühen Morgenstunden besagte „Wendland-Mappe“ auf den Tisch, öffnete sie und sagte: „Was halten Sie davon, Heigl?“. [...] Erst nachdem ich die einzelnen Blätter des Künstlers lange schweigend betrachtet und mich mit seinem Zeichen- und Farbduktus vertraut gemacht hatte, vertrat ich die Auffassung, dass eine solche Auffrischung und Erneuerung sicher nicht zum Nachteil für eine Kunsthochschule sei. Vielleicht konnte dieses Gespräch mithelfen, die letzte Sperre zur Berufung zu beseitigen.“
„Wendland - ein barocker Klee“(F14), so charakterisierte Curt Heigl im gleichen Text die Arbeiten der „Wendland-Mappe“. Damit stellte er den Künstler in ähnlicher Weise in die Nachfolge der Klassischen Moderne wie dies Werner Schmalenbach tat, der den Künstler Mitte der fünfziger Jahre kennengelernt hatte und drei seiner Bilder 1959 auf der II. dokumenta zeigte. (F15) Innerhalb des zurückliegenden Jahrzehnts hatte sich Wendland zu einem Hauptvertreter der abstrakten Kunst in Deutschland entwickelt. Die existentiellen Nachkriegsthemen waren mehr und mehr in den Hintergrund getreten und machten Platz für Heiterkeit und „Musikalität“, die immer wieder als Charakteristika seiner Kunst herausgestellt wurden:
„Wendlands Kunst ist ein Spiel mit kleinen Formen. [...] Ein umfangreiches, aber doch überschaubares Formenalphabet wird zu immer neuen farbigen Liedern, Gesängen und Tänzen gewirkt, um den Augen einen festlichen Schmaus zu bereiten. [...] Dabei ist seine heitere Bildwelt zuweilen auch von unholdem Spuk bedroht, doch gewinnt dieser an keiner Stelle die Oberhand. Denn alle Schöpfung muss bei diesem Maler voller Güte sein. Seine so ohne Einschränkung liebenswerten Bilder Zur Schöpfungsgeschichte sind wie auf der Gambe gespielt.“(F16) (Abb. 5)
Für die Nürnberger Akademie der Bildenden Künste stellte Wendlands Berufung eine „Auffrischung und Erneuerung“ dar. Die traditionsreiche, 1662 gegründete Institution darf sich rühmen, die älteste Akademie im deutschsprachigen Raum zu sein. König Ludwig I hatte sie allerdings auf den Rang einer Kunstschule herabgestuft, um allein München mit einer Akademie der bildenden Künste auszuzeichnen. Seine Hauptstadt sollte zum einzigen Kunstzentrum in Bayern ausgebaut werden. Erst 1942 wurde die Nürnberger Kunstgewerbeschule bzw. Staatsschule für Angewandte Kunst wieder in den Rang einer Akademie der Bildenden Künste erhoben, wie es der damaligen Bedeutung der „Stadt der Reichsparteitage“ entsprach.
In den 1950er und 1960er Jahren war der Lehrbetrieb der Akademie noch weitgehend von der akademischen Tradition geprägt. Der oben erwähnte Professor Otto Michael Schmitt lehrte zum Beispiel in seiner Klasse für Wandmalerei Proportionslehre anhand des Gekreuzigten oder Auferstandenen. (F17)
Professor Hans Wimmer, dem es durch den Rückgriff auf antike Vorbilder und auf bestimmte Tendenzen der klassischen Moderne (namentlich Wilhelm Lehmbruck) gelungen war die ideologisch geprägte Kunst des Nationalsozialismus zu überwinden und die figürliche Bildhauerei als Gattung neu zu beleben, lehrte mit Hilfe von Antikenstudium und Aktzeichnen.
Professor Fritz Griebel profilierte sich vor allem mit Gemälden von Menschengruppen in friedvoller Umgebung, wobei sein Gefühl für Form und Harmonie sowohl auf antikisierenden Kompositionsprinzipien als auch auf Cézannes Motiv der Badenden basierte. Er bereicherte „die Landschaftsmalerei durch neue Ausgangspunkte“(F18) und zeigte vor allem in seinen Scherenschnitten der 1950er und 1960er Jahre abstrahierende Tendenzen im Umgang mit dem Menschenbild.
Professor Hermann Wilhelm unterstützte in den Jahren nach dem Krieg seine Studenten darin, sich die Malerei der Klassischen Moderne, insbesondere den deutschen Expressionismus der 1910er und 1920er Jahre, anzueignen und auf dieser Grundlage einen neuen Weg für sich selbst zu finden (beispielhaft sind hier seine Schüler Oskar Koller und Christian Kruck zu nennen). Seine eigenen Stilleben, Landschaftsbilder und Porträts lassen häufig an sein Vorbild Matisse denken.
Im Kontext dieser Professorenschaft, die noch durch die Bereiche Angewandte Kunst, Innenarchitektur und Architektur zu ergänzen wäre, war Wendlands ungegenständliche Malerei in der Tat nicht nur eine „Auffrischung und Erneuerung“, sondern seine Berufung stellte eine damals an Akademien noch unübliche Zeitgenossenschaft her. Dies empfand zum Beispiel auch Christa Rudloff, die im Sommersemester 1961 von der Frankfurter an die Nürnberger Akademie wechselte, nachdem sie in einer Galerie die aktuellen Bilder von Gerhard Wendland gesehen hatte. Es ging ihr dabei um neue Impulse für ihre eigene künstlerische Entwicklung.(F19)
Wendland und die Gruppe N
Ende 1960 kam nicht nur Gerhard Wendland nach Nürnberg, sondern auch Joachim Warm, welcher zuvor in Berlin unter anderem Marktforschung studiert hatte und anhand einer Deutschlandkarte einen Ort suchte, an dem es noch keine Galerie für zeitgenössische Kunst und Design gab. In Nürnberg wurde er fündig („ein totales Vakuum auf dem Kunstsektor“)(F20). Deshalb zog er nach Nürnberg und gründete, unterstützt von anderen idealistisch eingestellten jungen Männern die Neue Nürnberger Galerie (später Mobilia Galerie). Toni Burghart würdigte diese Galerie, die sich rasch zur Institution entwickelte, im Rückblick wie folgt: „[...] ohne jede Vorwarnung knallte die mobilia den Nürnbergern die moderne Kunst vor den Latz. [...] Keine städtische oder sonstige Institution zeigte damals so was. Ja, man kann sagen: ohne mobilia hätte die moderne Kunst in Nürnberg gar nicht stattgefunden - oder erst dann, wenn sie vorbei gewesen wäre.“(F21) Joachim Warm schreibt: „Gezeigt wurden in der Galerie regelmäßige Ausstellungen von Gegenwartskunst - im Rahmen der damaligen bescheidenen Möglichkeiten zwar, aber überregional, ja international orientiert. [...] Es fand sich im Umfeld der neu gegründeten Galerie ein Kreis progressiver junger Künstler aus der Region unter Führung von Gerhard Wendland [...]. Beteiligt waren die Maler Toni Burghart, Franz Vornberger, Egon Eppich, Max Söllner und Arnold Leissler.“(F22) (Abb. 6)
Diese sechs Künstler, die sich Gruppe N nannten, stellten mehrmals in der Mobilia Galerie aus. Im Rahmen dieser Ausstellungsprojekte publizierten sie insgesamt drei Grafik-Mappen. Ludwig Grote, der Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums, der sich in den Nachkriegsjahren sehr im Bereich der modernen und zeitgenössischen Kunst engagierte, schrieb in seinem Grußwort zur ersten Mappe: „Diese Mappe verdankt ihre Entstehung zweifellos Gerhard Wendland, in dem ich einen der feinfühligsten und einfallsreichsten deutschen Beherrscher der graphischen Ausdrucksmittel sehe. Seine Sechsfarbenlithographie in dieser Mappe ist ein sprühendes Meisterwerk. Farbiger Reichtum ist in der rechten Figur konzentriert, deren Aufstieg sich kämpfend gegen das übermächtige, zweifach abgestufte Grün durchsetzt. Das dunkelbraune Gerüst schließt sattes Blau ein und verleiht ihm Leuchtkraft, die anderen Farben sind als kleine Partikel eingesprengt und werden in den Raum hinausgesprüht. Die Lithographie besitzt die Frische eines elementar hingesetzten Aquarells.“(F23) (Abb. 7)
Im Zusammenhang mit der Ausstellung der Gruppe N im Haus Mackensen in Worpswede findet sich 1965 eine treffende Charakterisierung dieser Künstlergruppe; Wendlands Arbeiten werden in diesem Zusammenhang durchaus kritisch bewertet: „Persönliche Verbundenheit und das Bewußtsein, in keine bestehende Gruppe hineinzupassen, hat die fünf [ausnahmsweise ohne Franz Vornberger] zusammengeführt, nicht etwa die Gemeinsamkeit der Handschrift. Gerade das antipodische, lediglich auf einen gewissen poetischen Grundton gestimmte Verhältnis der Ausdrucksweisen zueinander kennzeichnet diese Ausstellung. Ein lebhaftes Wechselgespräch flutet durch die fünf Räume. [...] Gerhard Wendland [...] ist mit 55 Jahren der Senior der Gruppe. Zugleich ist er ihr Sanguiniker, ihr verspieltes Temperament, ihr Farbenschwelger, ihr heiterer Poet, weit entfernt von der Ruhe und dem Ernst seiner jüngeren Kollegen. Sein selbstvergessenes Spiel mit allerlei originellen Zeichen und kästchenartigen Farbflecken kann oft aus dem Bereich liebenswerter graphischer Versponnenheit hinausführen in die koloristische Veräußerlichung. Die zahlreichen Zeugnisse dafür nimmt Wendland einfach hinein in sein Oeuvre, scheinbar ohne sich Rechenschaft abzulegen über den Riss, der sein Schaffen durchzieht. Doch berührt dieser offensichtliche Mangel an Selbstkritik seiner fröhlichen Umstände wegen schon wieder sympathisch.“ (F24)
Von der Abstraktion zur Op-Art
Das kritische Zeitungszitat von 1965 wirft ein grundsätzliches Problem auf. Gerhard Wendland hatte sich - wie auch andere progressive deutsche Künstler innerhalb seiner Generation - nach dem Ende der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft die künstlerischen Möglichkeiten der Moderne neu erobert. Die Entwicklung führte dabei über expressive Bildfindungen zu Abstraktion und Ungegenständlichkeit. Dieser von Wendland sehr erfolgreich beschrittene Weg entsprach der Doktrin der Moderne, wie sie bis Ende der 1950er, zum Teil bis weit in die 1960er Jahre hinein von vielen Künstlern, Kuratoren und auch Politikern (die freie Kunst des Westens im Gegensatz zum sozialistischen Realismus des Ostens) definiert wurde. Aber in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts bahnte sich ein neuer Kunstbegriff an. Zeitgenössische Malerei musste nicht mehr zwangsläufig abstrakt sein. Kunst musste sich nicht mehr nur im Rahmen der Malerei abspielen, sondern wurde beispielsweise auch durch Objektkunst, Environment und neue Medien erweitert. Kunst fand nicht mehr im Elfenbeinturm statt, sondern setzte sich in einen neuen Bezug zur Gesellschaft. Hier bestand die Gefahr, dass die Kunst Wendlands mit ihrer „graphischen Versponnenheit“ und „koloristischen Veräußerlichung“ ins Abseits geriet und den Kontakt zur aktuellen, wirklich zeitgenössischen Kunst der 1960er Jahre verlor. Dieser Gefahr entging Wendland vorerst, indem er eigene Gestaltungsideen mit den damals aktuellsten Ansätzen der internationalen Op-Art verknüpfte.
Die Idee mehr oder weniger parallel verlaufende Linienbündel einzusetzten, hatte Wendland aus seiner eigenen Bildwelt entwickelt. So tauchte dieses Prinzip bereits 1957 im Labyrinth (Wvz 1957/48) auf und wird vor allem 1965 vielfach variiert, zum Beispiel als Faltung (Wvz 1966/2), im Gruppenbild Familie (Wvz 1965/22a/b) oder in Wendland 65, Selbstbildnis (Wvz 1965/20). Anregungen der seit 1964 so genannten Op-Art (F25), die vor allem durch die Ausstellung The Responsive Eye im Museum of Modern Art in New York 1965 international wahrgenommen wurde und bis hin zum Modedesign viele Bereiche der Alltagskultur beeinflusste, griff Wendland auf und verknüpfte sie mit seinen eigenen Wurzeln. So erhielt er sich die unmittelbare und internationale Zeitgenossenschaft. (Abb.8)
Im Zusammenhang mit der Ausstellung der Gruppe N im Haus Mackensen in Worpswede findet sich 1965 eine treffende Charakterisierung dieser Künstlergruppe; Wendlands Arbeiten werden in diesem Zusammenhang durchaus kritisch bewertet: „Persönliche Verbundenheit und das Bewußtsein, in keine bestehende Gruppe hineinzupassen, hat die fünf [ausnahmsweise ohne Franz Vornberger] zusammengeführt, nicht etwa die Gemeinsamkeit der Handschrift. Gerade das antipodische, lediglich auf einen gewissen poetischen Grundton gestimmte Verhältnis der Ausdrucksweisen zueinander kennzeichnet diese Ausstellung. Ein lebhaftes Wechselgespräch flutet durch die fünf Räume. [...] Gerhard Wendland [...] ist mit 55 Jahren der Senior der Gruppe. Zugleich ist er ihr Sanguiniker, ihr verspieltes Temperament, ihr Farbenschwelger, ihr heiterer Poet, weit entfernt von der Ruhe und dem Ernst seiner jüngeren Kollegen. Sein selbstvergessenes Spiel mit allerlei originellen Zeichen und kästchenartigen Farbflecken kann oft aus dem Bereich liebenswerter graphischer Versponnenheit hinausführen in die koloristische Veräußerlichung. Die zahlreichen Zeugnisse dafür nimmt Wendland einfach hinein in sein Oeuvre, scheinbar ohne sich Rechenschaft abzulegen über den Riss, der sein Schaffen durchzieht. Doch berührt dieser offensichtliche Mangel an Selbstkritik seiner fröhlichen Umstände wegen schon wieder sympathisch.“ (F24)
Von der Abstraktion zur Op-Art
Das kritische Zeitungszitat von 1965 wirft ein grundsätzliches Problem auf. Gerhard Wendland hatte sich - wie auch andere progressive deutsche Künstler innerhalb seiner Generation - nach dem Ende der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft die künstlerischen Möglichkeiten der Moderne neu erobert. Die Entwicklung führte dabei über expressive Bildfindungen zu Abstraktion und Ungegenständlichkeit. Dieser von Wendland sehr erfolgreich beschrittene Weg entsprach der Doktrin der Moderne, wie sie bis Ende der 1950er, zum Teil bis weit in die 1960er Jahre hinein von vielen Künstlern, Kuratoren und auch Politikern (die freie Kunst des Westens im Gegensatz zum sozialistischen Realismus des Ostens) definiert wurde. Aber in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts bahnte sich ein neuer Kunstbegriff an. Zeitgenössische Malerei musste nicht mehr zwangsläufig abstrakt sein. Kunst musste sich nicht mehr nur im Rahmen der Malerei abspielen, sondern wurde beispielsweise auch durch Objektkunst, Environment und neue Medien erweitert. Kunst fand nicht mehr im Elfenbeinturm statt, sondern setzte sich in einen neuen Bezug zur Gesellschaft. Hier bestand die Gefahr, dass die Kunst Wendlands mit ihrer „graphischen Versponnenheit“ und „koloristischen Veräußerlichung“ ins Abseits geriet und den Kontakt zur aktuellen, wirklich zeitgenössischen Kunst der 1960er Jahre verlor. Dieser Gefahr entging Wendland vorerst, indem er eigene Gestaltungsideen mit den damals aktuellsten Ansätzen der internationalen Op-Art verknüpfte.
Die Idee mehr oder weniger parallel verlaufende Linienbündel einzusetzten, hatte Wendland aus seiner eigenen Bildwelt entwickelt. So tauchte dieses Prinzip bereits 1957 im Labyrinth (Wvz 1957/48) auf und wird vor allem 1965 vielfach variiert, zum Beispiel als Faltung (Wvz 1966/2), im Gruppenbild Familie (Wvz 1965/22a/b) oder in Wendland 65, Selbstbildnis (Wvz 1965/20). Anregungen der seit 1964 so genannten Op-Art (F25), die vor allem durch die Ausstellung The Responsive Eye im Museum of Modern Art in New York 1965 international wahrgenommen wurde und bis hin zum Modedesign viele Bereiche der Alltagskultur beeinflusste, griff Wendland auf und verknüpfte sie mit seinen eigenen Wurzeln. So erhielt er sich die unmittelbare und internationale Zeitgenossenschaft. (Abb.8)
Wendlands Engagement im Nürnberger Kunstverein
Im Bereich der Kunst wird Zeitgenossenschaft in Deutschland traditionellerweise vor allem von den Kunstvereinen gepflegt. Auch in diesem Bereich kann Nürnberg eine außergewöhnliche Tradition vorweisen. Der Nürnberger Kunstverein (Albrecht-Dürer-Gesellschft) wurde bereits 1792, also drei Jahre nach der französischen Revolution und ganz im Geiste ihrer Ideen von bürgerlicher Kultur, gegründet. Dieser älteste deutsche Kunstverein war aber, als Wendland nach Nürnberg kam, gänzlich in die Kulturverwaltung der Stadt Nürnberg integriert. Beide Institutionen wurden nicht klar getrennt. Deshalb initiierte 1963 der bereits 1960 in den Kunstverein eingetretene Michael Mathias Prechtl gemeinsam mit anderen jungen Künstlern und Kunstinteressierten eine „Palastrevolution“ (F26), die zur Folge hatte, dass sich der Kunstverein wieder aus der Kulturverwaltung der Stadt löste und ein eigenständiges Profil entwickelte. Roland Graf von Faber-Castell löste den Oberbürgermeister als Vorsitzenden ab. In Vorstand und Vereinsgremien engagierten sich die wichtigsten Persönlichkeiten der an zeitgenössischer Kunst interessierten Nürnberger Kunstszene - unter anderem auch Gerhard Wendland. (Abb. 9)
Wendland und die Öffnung der Akademie
Doch zurück zur Akademie der Bildenden Künste, wo Gerhard Wendland nicht nur seine Aufgaben als Professor absolvierte sondern auch über das normale Pensum hinaus Aktivitäten entwickelte, die von der damaligen Professorenschaft nicht immer positiv aufgenommen wurden, da sie Unruhe ins Akademiegeschehen brachten. Aus heutiger Sicht stellte Wendland einen Vorläufer der inzwischen selbstverständlich gewordene Öffnung der Akademie dar.
Beispielhaft sei hier erwähnt, dass Gerhard Wendland einen Austausch zwischen den verschiedenen Kunstdisziplinen förderte. Er hatte nicht nur ein besonderes Faible für alte Musik, wobei er selbst die Gambe oder das Krumholz spielte, sondern er besuchte auch regelmäßig die Konzerte der Neuen Musik, die ihn lebhaft interessierte. Den Komponisten Werner Heider lud er 1963 zu einem Austausch mit seinen Studenten in die Akademie ein. Thema war Heiders Musikstück Konflikte für Schlagzeugensemble und Symphonieorchester, das kurz zuvor in Donaueschingen uraufgeführt worden war. Anhand einer Tonbandaufzeichnung hatten die Kunststudenten eine etwa ein Meter hohe und acht Meter lange Papierbahn mit einer Verbildlichung dieses Musikstücks gestaltet. Während des gemeinsamen Anhörens des Stücks konnte dann Schritt für Schritt die Musik mit Hilfe eines Zeigestabs nachgezeichnet werden. Die große Papierrolle wurde danach dem Komponisten übergeben, der sie in seiner Wendland-Sammlung aufbewahrt.(F27)
„Ich war eigentlich nur für die Studenten da und nicht für die Akademie.“ (F28) Dieser gegenüber seinem Kollegen Professor Ernst Weil geäußerte und inzwischen häufig zitierte Satz umreißt mehrere Aspekte des Wirkens von Gerhard Wendland an der Akademie der Bildenden Künste. Einerseits gehörte er zu den wenigen Professoren, die das für den Professor vorgesehene Atelier an der Akademie auch tatsächlich als Arbeitsraum nutzten, wodurch er jederzeit für seine Studenten ansprechbar war, die in angrenzenden Räumen selbst arbeiteten. Andererseits erwartete er von seinen Studenten aber auch, dass sie an seinem regelmäßig stattfindenden Unterricht teilnahmen. Nicht zuletzt zeigte er sich aus einer ganz selbstverständlichen Haltung heraus mit den Studenten solidarisch. (F29)
Im Bereich der Kunst wird Zeitgenossenschaft in Deutschland traditionellerweise vor allem von den Kunstvereinen gepflegt. Auch in diesem Bereich kann Nürnberg eine außergewöhnliche Tradition vorweisen. Der Nürnberger Kunstverein (Albrecht-Dürer-Gesellschft) wurde bereits 1792, also drei Jahre nach der französischen Revolution und ganz im Geiste ihrer Ideen von bürgerlicher Kultur, gegründet. Dieser älteste deutsche Kunstverein war aber, als Wendland nach Nürnberg kam, gänzlich in die Kulturverwaltung der Stadt Nürnberg integriert. Beide Institutionen wurden nicht klar getrennt. Deshalb initiierte 1963 der bereits 1960 in den Kunstverein eingetretene Michael Mathias Prechtl gemeinsam mit anderen jungen Künstlern und Kunstinteressierten eine „Palastrevolution“ (F26), die zur Folge hatte, dass sich der Kunstverein wieder aus der Kulturverwaltung der Stadt löste und ein eigenständiges Profil entwickelte. Roland Graf von Faber-Castell löste den Oberbürgermeister als Vorsitzenden ab. In Vorstand und Vereinsgremien engagierten sich die wichtigsten Persönlichkeiten der an zeitgenössischer Kunst interessierten Nürnberger Kunstszene - unter anderem auch Gerhard Wendland. (Abb. 9)
Wendland und die Öffnung der Akademie
Doch zurück zur Akademie der Bildenden Künste, wo Gerhard Wendland nicht nur seine Aufgaben als Professor absolvierte sondern auch über das normale Pensum hinaus Aktivitäten entwickelte, die von der damaligen Professorenschaft nicht immer positiv aufgenommen wurden, da sie Unruhe ins Akademiegeschehen brachten. Aus heutiger Sicht stellte Wendland einen Vorläufer der inzwischen selbstverständlich gewordene Öffnung der Akademie dar.
Beispielhaft sei hier erwähnt, dass Gerhard Wendland einen Austausch zwischen den verschiedenen Kunstdisziplinen förderte. Er hatte nicht nur ein besonderes Faible für alte Musik, wobei er selbst die Gambe oder das Krumholz spielte, sondern er besuchte auch regelmäßig die Konzerte der Neuen Musik, die ihn lebhaft interessierte. Den Komponisten Werner Heider lud er 1963 zu einem Austausch mit seinen Studenten in die Akademie ein. Thema war Heiders Musikstück Konflikte für Schlagzeugensemble und Symphonieorchester, das kurz zuvor in Donaueschingen uraufgeführt worden war. Anhand einer Tonbandaufzeichnung hatten die Kunststudenten eine etwa ein Meter hohe und acht Meter lange Papierbahn mit einer Verbildlichung dieses Musikstücks gestaltet. Während des gemeinsamen Anhörens des Stücks konnte dann Schritt für Schritt die Musik mit Hilfe eines Zeigestabs nachgezeichnet werden. Die große Papierrolle wurde danach dem Komponisten übergeben, der sie in seiner Wendland-Sammlung aufbewahrt.(F27)
„Ich war eigentlich nur für die Studenten da und nicht für die Akademie.“ (F28) Dieser gegenüber seinem Kollegen Professor Ernst Weil geäußerte und inzwischen häufig zitierte Satz umreißt mehrere Aspekte des Wirkens von Gerhard Wendland an der Akademie der Bildenden Künste. Einerseits gehörte er zu den wenigen Professoren, die das für den Professor vorgesehene Atelier an der Akademie auch tatsächlich als Arbeitsraum nutzten, wodurch er jederzeit für seine Studenten ansprechbar war, die in angrenzenden Räumen selbst arbeiteten. Andererseits erwartete er von seinen Studenten aber auch, dass sie an seinem regelmäßig stattfindenden Unterricht teilnahmen. Nicht zuletzt zeigte er sich aus einer ganz selbstverständlichen Haltung heraus mit den Studenten solidarisch. (F29)
Wendland und die 68er
1968 taten sich einige Studenten der Klassen Wendland und Weil spontan zusammen, um aus der am Waldrand gelegenen, in sich „abgeschlossenen“ Akademie heraus zu gehen, in die Innenstadt zu fahren, und mit Farbe und großen Papierbahnen mitten in der Gesellschaft mit den Passanten zu malen. Die Polizei fand diese 68er-Aktion nicht sehr amüsant und löste die Veranstaltung sehr schnell auf, woraufhin sich die Studenten in die Mensa der Akademie zurückzogen, frustriert herumhingen - und schließlich ihre spontane Malaktion an der großen weißen Wand der Mensa mit neuer Kraft wieder aufnahmen und auslebten. Das brachte den betreffenden Studenten massive Probleme mit der Verwaltung der Akademie ein. Lediglich Gerhard Wendland und der Professor für Gold- und Silberschmiede, Andreas Moritz, erklärten sich von Anfang an solidarisch.(F30)
In Bezug auf eine andere „68er-Aktion“, die allerdings erst am 26. Juni 1969 stattfand möchte ich wieder Stimmen der Zeit sprechen lassen: „Zum Protest-Happening gegen das Kunst-Establishment wurde die Vernissage der Ausstellung mit Arbeiten des Nürnberger Akademie-Lehrers Prof. Gerhard Wendland in der Galerie Beck in Erlangen. [...] Angetan mit zebragestreiftem Malerkittel [...] parodierte Anti-Künstler [Dieter] Kleppsch recht trefflich die Wendland-Schau.“(F31
„Ein paar ,Schmuddelkinder‘ hockten auf Becks Galerie-Boden, starrten naiv ins Leere, labten sich an kostenlosem Vernissage-Wein und schmauchten Rauch. Mag sein, dass sie sich zu solch laut- und ziellosem ,Sit-in‘ durch Professor Gerhard Wendlands Linienmuster und Dietrich Mahlows wenige Worte animiert fühlten. Denn, so Mahlow: Wendlands Tun ist eine Kunst, die ,jeder machen kann‘, Volkskunst sozusagen, frei nach dem ,Do-it-yourself‘-Rezept: man male Linien so oft und so lange, als das Papier reicht; dann verdoppele, vervier- und verachtfache man das Bildelement (am besten, weil am billigsten, in Siebdrucktechnik) - und man kann ganze Räume damit ausstatten. [...] Und wer genügend Wendland-Elemente im Zimmer installiert, variiert und kombiniert, der mag sich vorkommen wie der Fisch im bewegten Wasser - auch wenn es nur eine Illusion ist.“(F32)
„Konstruktivismus also, wie Dr. Mahlow meinte, ist das alles nicht. Konstruktivismus meint höchste Bewusstheit beim Künstler wie beim Betrachter, nicht psychedelisches Wabern.“(F33)(Abb.10)
Wendlands Erlanger Ausstellung fand parallel zur ersten Biennale Nürnberg statt, die unter der Überschrift stand Konstruktive Kunst: Elemente und Prinzipien und vom 18. April bis zum 3. August 1969 in der Kunsthalle Nürnberg und im benachbarten Künstlerhaus stattfand. Mahlows Konstruktivismus-Begriff (welcher im obigen Zitat angegriffen wird) ist aus seinen Überlegungen zur Biennale heraus erklärbar.
1968 taten sich einige Studenten der Klassen Wendland und Weil spontan zusammen, um aus der am Waldrand gelegenen, in sich „abgeschlossenen“ Akademie heraus zu gehen, in die Innenstadt zu fahren, und mit Farbe und großen Papierbahnen mitten in der Gesellschaft mit den Passanten zu malen. Die Polizei fand diese 68er-Aktion nicht sehr amüsant und löste die Veranstaltung sehr schnell auf, woraufhin sich die Studenten in die Mensa der Akademie zurückzogen, frustriert herumhingen - und schließlich ihre spontane Malaktion an der großen weißen Wand der Mensa mit neuer Kraft wieder aufnahmen und auslebten. Das brachte den betreffenden Studenten massive Probleme mit der Verwaltung der Akademie ein. Lediglich Gerhard Wendland und der Professor für Gold- und Silberschmiede, Andreas Moritz, erklärten sich von Anfang an solidarisch.(F30)
In Bezug auf eine andere „68er-Aktion“, die allerdings erst am 26. Juni 1969 stattfand möchte ich wieder Stimmen der Zeit sprechen lassen: „Zum Protest-Happening gegen das Kunst-Establishment wurde die Vernissage der Ausstellung mit Arbeiten des Nürnberger Akademie-Lehrers Prof. Gerhard Wendland in der Galerie Beck in Erlangen. [...] Angetan mit zebragestreiftem Malerkittel [...] parodierte Anti-Künstler [Dieter] Kleppsch recht trefflich die Wendland-Schau.“(F31
„Ein paar ,Schmuddelkinder‘ hockten auf Becks Galerie-Boden, starrten naiv ins Leere, labten sich an kostenlosem Vernissage-Wein und schmauchten Rauch. Mag sein, dass sie sich zu solch laut- und ziellosem ,Sit-in‘ durch Professor Gerhard Wendlands Linienmuster und Dietrich Mahlows wenige Worte animiert fühlten. Denn, so Mahlow: Wendlands Tun ist eine Kunst, die ,jeder machen kann‘, Volkskunst sozusagen, frei nach dem ,Do-it-yourself‘-Rezept: man male Linien so oft und so lange, als das Papier reicht; dann verdoppele, vervier- und verachtfache man das Bildelement (am besten, weil am billigsten, in Siebdrucktechnik) - und man kann ganze Räume damit ausstatten. [...] Und wer genügend Wendland-Elemente im Zimmer installiert, variiert und kombiniert, der mag sich vorkommen wie der Fisch im bewegten Wasser - auch wenn es nur eine Illusion ist.“(F32)
„Konstruktivismus also, wie Dr. Mahlow meinte, ist das alles nicht. Konstruktivismus meint höchste Bewusstheit beim Künstler wie beim Betrachter, nicht psychedelisches Wabern.“(F33)(Abb.10)
Wendlands Erlanger Ausstellung fand parallel zur ersten Biennale Nürnberg statt, die unter der Überschrift stand Konstruktive Kunst: Elemente und Prinzipien und vom 18. April bis zum 3. August 1969 in der Kunsthalle Nürnberg und im benachbarten Künstlerhaus stattfand. Mahlows Konstruktivismus-Begriff (welcher im obigen Zitat angegriffen wird) ist aus seinen Überlegungen zur Biennale heraus erklärbar.
Euphorie und Enttäuschung im Zusammenhang mit dem Dürer-Jahr 1971
Am 1. Mai 1964 trat Hermann Glaser seinen Dienst als Schul- und Kulturreferent der Stadt Nürnberg an. Im Vorfeld des wichtigen Dürer-Jahres 1971 konzipierte er neue Perspektiven für die Entwicklung von Kunst und Kultur in Nürnberg, wobei die Berufung von Dietrich Mahlow zum 1. Januar 1967 als Direktor der Kunsthalle Nürnberg und als designierter Leiter eines zu errichtenden Museums internationaler moderner und zeitgenössischer Kunst besondere Bedeutung erlangte. Gerhard Wendland kannte Dietrich Mahlow seit Längerem und konnte ihn bereits 1965 als Eröffnungsredner für seine Nürnberger Einzelausstellung gewinnen. (F34) Wendland ist deshalb hier als wichtiger Ideengeber zu nennen. (F35)
1971, zum Dürerjahr, fand in Nürnberg ein in dieser Stadt zuvor nie gesehenes Feuerwerk der Künste statt. Das Germanische Nationalmuseum zeigte eine herausragende Dürer-Schau, und die Stadt Nürnberg nahm den Altmeister, der in seiner Zeit außerordentlich innovativ war (man denke nur an seine Apokalypse), zum Anlass, um innovative Projekte der zeitgenössischen Kunst zu ermöglichen: die zweite Biennale Nürnberg und das Symposium Urbanum. Das ursprünglich ebenfalls für 1971 geplante Museum für internationale moderne und zeitgenössische Kunst konnte damals noch nicht realisiert werden, weshalb Dietrich Mahlow die Stadt unter Protest verließ.
Die Euphorie des Nürnberger Kunst-Aufschwungs, der in den sechziger Jahren so hoffnungsvoll aus kleinen Keimen gewachsen war, fand ein jähes Ende. Die Stadt kürzte die Mittel für zeitgenössische Kunst drastisch (zum Beispiel beim Aufbau der Sammlung zur internationalen zeitgenössischen Kunst), so dass über viele Jahre nur noch auf Sparflamme gewirtschaftet werden konnte. Dennoch bilden die 1960er Jahre das Fundament für die heute wieder sehr aktive Kunststadt Nürnberg. Der gezündete Funke erlosch nie ganz. Hier ist vor allem die Galerie Defet zu nennen, die Mitte der sechziger Jahre im Kunstbereich die von der Mobilia Galerie gemachten Anfänge aufgriff und in größerer Dimension und Nachhaltigkeit weiterentwickelte - man denke nur an die regelmäßigen Teilnahmen an der Art Cologne. 2008 präsentierte die Galerie Defet eine Wendland-Einzelausstellung, die zur Initialzündung wurde für die Würdigung des Künstlers anlässlich seines 100. Geburtstages im Jahr 2010.
Wendlands Rückzug aus der Öffentlichkeit und seine künstlerische Neuorientierung
Gerhard Wendland, der in den 1960er Jahren ein wichtiger Katalysator für die unterschiedlichsten positiven Entwicklungen war, lebte nach 1970 zurückgezogener als zuvor auf dem Gipfel des Moritzberges (und später in einem Dorf an dessen Hang). Im öffentlichen Leben der Stadt engagierte er sich weniger. Dafür spricht zum Beispiel, dass sich in den Unterlagen des Kunstvereins zu Beginn der 1970er Jahre keine Hinweise mehr auf ein Engagement im Vorstand oder in gremien findet. Andererseits stand er immer im Austausch mit anderen an der Kunst interessierten. Seine intensive Lehrtätigkeit setzte er neben und nach seiner 1978 erfolgten Emeritierung, solange es ihm gesundheitlich möglich war, mit großem engagewment fort.
Ab 1970 suchte Wendland einen neuen Ansatzpunkt für seine Kunst. Die Möglichkeiten seiner Linienbilder schienen ihm ausgeschöpft zu sein und er begann seinen Umgang mit der Farbe und den künstlerischen Mitteln neu zu hinterfragen. Wendland wandte sich verstärkt der Anthroposophie von Rudolf Steiner zu, die zwar bereits seit Jahrzehnten ein wichtiger Bestandteil seiner Weltanschauung gewesen war, aber erst jetzt rückten Steiners Ideen zur Kunst mit großer Ausschließlichkeit in Wendlands Bewußtsein. Als Mitglied des Sektionskollegiums für Bildende Kunst am Goetheanum in Dornach nahm er an zahlreichen Tagungen teil. Seine in diesem Zusammenhang entstandenen Referate, die sich zum Teil im Nachlass erhalten haben, spiegeln die Intensität seines Engagements wider. In dieser Zeit experimentierte er über Monate mit anthroposophischer Malerei im engeren Sinne, indem er aus fließenden Farben heraus visionäre Gestalten ins Bild setzte. Diese Arbeiten stellte er auch aus, allerdings ausschließlich in den Räumen der Anthroposophischen Gesellschaft. (Abb. 11)
„Die Anthroposophie hätte ihm künstlerisch fast das Genick gebrochen.“ (F36) Dieser Meinung kann man sich nur anschließen, aber man muss auch anerkennen, dass Wendland aus dieser Übergangsphase heraus wieder die Kraft fand, sich den ureigensten Gestaltungsprinzipien seiner Kunst erneut zuzuwenden. Bezog sich 1950 die „Suche nach einem neuen metaphysischen Halt“(F37) noch ganz auf die existentiellen Nöte der Nachkriegsgeneration als Ganzes, so geht es in seinem Spätwerk um ein sehr persönliches Resumée seines künstlerischen Lebensweges. In einer seiner letzten Arbeiten greift er wieder die Gestaltungsprinzipien seiner Sonnen der 1960er Jahre auf und verdeutlicht im Titel Erde muss Sonne werden exemplarisch seinen eigenen transzendentalen Blick auf sein bevorstehendes Lebensende. „Unablässig durchforscht er über sich uns selbst“(F38), dieser Satz galt sowohl 1950 als auch 1986, Wendlands Todesjahr.
Am 1. Mai 1964 trat Hermann Glaser seinen Dienst als Schul- und Kulturreferent der Stadt Nürnberg an. Im Vorfeld des wichtigen Dürer-Jahres 1971 konzipierte er neue Perspektiven für die Entwicklung von Kunst und Kultur in Nürnberg, wobei die Berufung von Dietrich Mahlow zum 1. Januar 1967 als Direktor der Kunsthalle Nürnberg und als designierter Leiter eines zu errichtenden Museums internationaler moderner und zeitgenössischer Kunst besondere Bedeutung erlangte. Gerhard Wendland kannte Dietrich Mahlow seit Längerem und konnte ihn bereits 1965 als Eröffnungsredner für seine Nürnberger Einzelausstellung gewinnen. (F34) Wendland ist deshalb hier als wichtiger Ideengeber zu nennen. (F35)
1971, zum Dürerjahr, fand in Nürnberg ein in dieser Stadt zuvor nie gesehenes Feuerwerk der Künste statt. Das Germanische Nationalmuseum zeigte eine herausragende Dürer-Schau, und die Stadt Nürnberg nahm den Altmeister, der in seiner Zeit außerordentlich innovativ war (man denke nur an seine Apokalypse), zum Anlass, um innovative Projekte der zeitgenössischen Kunst zu ermöglichen: die zweite Biennale Nürnberg und das Symposium Urbanum. Das ursprünglich ebenfalls für 1971 geplante Museum für internationale moderne und zeitgenössische Kunst konnte damals noch nicht realisiert werden, weshalb Dietrich Mahlow die Stadt unter Protest verließ.
Die Euphorie des Nürnberger Kunst-Aufschwungs, der in den sechziger Jahren so hoffnungsvoll aus kleinen Keimen gewachsen war, fand ein jähes Ende. Die Stadt kürzte die Mittel für zeitgenössische Kunst drastisch (zum Beispiel beim Aufbau der Sammlung zur internationalen zeitgenössischen Kunst), so dass über viele Jahre nur noch auf Sparflamme gewirtschaftet werden konnte. Dennoch bilden die 1960er Jahre das Fundament für die heute wieder sehr aktive Kunststadt Nürnberg. Der gezündete Funke erlosch nie ganz. Hier ist vor allem die Galerie Defet zu nennen, die Mitte der sechziger Jahre im Kunstbereich die von der Mobilia Galerie gemachten Anfänge aufgriff und in größerer Dimension und Nachhaltigkeit weiterentwickelte - man denke nur an die regelmäßigen Teilnahmen an der Art Cologne. 2008 präsentierte die Galerie Defet eine Wendland-Einzelausstellung, die zur Initialzündung wurde für die Würdigung des Künstlers anlässlich seines 100. Geburtstages im Jahr 2010.
Wendlands Rückzug aus der Öffentlichkeit und seine künstlerische Neuorientierung
Gerhard Wendland, der in den 1960er Jahren ein wichtiger Katalysator für die unterschiedlichsten positiven Entwicklungen war, lebte nach 1970 zurückgezogener als zuvor auf dem Gipfel des Moritzberges (und später in einem Dorf an dessen Hang). Im öffentlichen Leben der Stadt engagierte er sich weniger. Dafür spricht zum Beispiel, dass sich in den Unterlagen des Kunstvereins zu Beginn der 1970er Jahre keine Hinweise mehr auf ein Engagement im Vorstand oder in gremien findet. Andererseits stand er immer im Austausch mit anderen an der Kunst interessierten. Seine intensive Lehrtätigkeit setzte er neben und nach seiner 1978 erfolgten Emeritierung, solange es ihm gesundheitlich möglich war, mit großem engagewment fort.
Ab 1970 suchte Wendland einen neuen Ansatzpunkt für seine Kunst. Die Möglichkeiten seiner Linienbilder schienen ihm ausgeschöpft zu sein und er begann seinen Umgang mit der Farbe und den künstlerischen Mitteln neu zu hinterfragen. Wendland wandte sich verstärkt der Anthroposophie von Rudolf Steiner zu, die zwar bereits seit Jahrzehnten ein wichtiger Bestandteil seiner Weltanschauung gewesen war, aber erst jetzt rückten Steiners Ideen zur Kunst mit großer Ausschließlichkeit in Wendlands Bewußtsein. Als Mitglied des Sektionskollegiums für Bildende Kunst am Goetheanum in Dornach nahm er an zahlreichen Tagungen teil. Seine in diesem Zusammenhang entstandenen Referate, die sich zum Teil im Nachlass erhalten haben, spiegeln die Intensität seines Engagements wider. In dieser Zeit experimentierte er über Monate mit anthroposophischer Malerei im engeren Sinne, indem er aus fließenden Farben heraus visionäre Gestalten ins Bild setzte. Diese Arbeiten stellte er auch aus, allerdings ausschließlich in den Räumen der Anthroposophischen Gesellschaft. (Abb. 11)
„Die Anthroposophie hätte ihm künstlerisch fast das Genick gebrochen.“ (F36) Dieser Meinung kann man sich nur anschließen, aber man muss auch anerkennen, dass Wendland aus dieser Übergangsphase heraus wieder die Kraft fand, sich den ureigensten Gestaltungsprinzipien seiner Kunst erneut zuzuwenden. Bezog sich 1950 die „Suche nach einem neuen metaphysischen Halt“(F37) noch ganz auf die existentiellen Nöte der Nachkriegsgeneration als Ganzes, so geht es in seinem Spätwerk um ein sehr persönliches Resumée seines künstlerischen Lebensweges. In einer seiner letzten Arbeiten greift er wieder die Gestaltungsprinzipien seiner Sonnen der 1960er Jahre auf und verdeutlicht im Titel Erde muss Sonne werden exemplarisch seinen eigenen transzendentalen Blick auf sein bevorstehendes Lebensende. „Unablässig durchforscht er über sich uns selbst“(F38), dieser Satz galt sowohl 1950 als auch 1986, Wendlands Todesjahr.