Josef Kosuth
Günter Braunsberg: Joseph Kosuth. Seeing Reading (To C. & A.A.), 1981
in: AUS DER SAMMLUNG. Skizze fünf, Kunsthalle Nürnberg 1992, S. 14
Seeing Reading (To C. & A.A.), 1981
Neonschrift, grün, 11 x 530 x 5,5 cm, Zertifikat bez.: Joseph Kosuth 1981
eines von insgesamt drei Exemplaren in Grün, Blau und Rosa, Inv.-Nr. 873
erworben 1990 für die Sammlung internationaler zeitgenössischer Kunst der Stadt Nürnberg
Dauerleihgabe im Neuen Museum Nürnberg
Kunst hat mit Logik und Mathematik gemeinsam, dass sie eine Tautologie ist; das heißt, der "Kunstgedanke" (oder das Werk) und Kunst sind ein und dasselbe und lassen sich als Kunst begreifen, ohne dass man zur Verifizierung den Kunstzusammenhang verlassen müsste.
Joseph Kosuths Äußerung macht klar, dass der sich selbst beschreibende Tatbestand (die Tautologie) sein künstlerisches Schaffen prägt. Der Satz THIS OBJECT, SENTENCE, AND WORK COMPLETES ITSELF WHILE WHAT IS READ CONSTRUCTS WHAT IS SEEN erklärt die Funktion des an der Wand befestigten Schriftzuges: Es handelt sich gleichermaßen um ein (Neon-) Objekt, einen Satz, ein (Kunst-)Werk. Sein Sinn ergibt sich daraus, dass die Buchstaben zum Sehen Lesen anregen - und dass andererseits der aus ihnen gebildete Satz das Kunstwerk ist. Seine Aussage weist nicht über die Grenzen der Kunst hinaus.
Kunst als Idee als Idee (Art as Idea as Idea), Kosuths Kürzel für seine künstlerische Grundhaltung, besagt, dass die einzige Idee, die jedes einzelne Kunstwerk - ebenso wie die Kunst als Ganzes - ausmacht, die Idee der Kunst ist. Dieser Idee kann sich der Künstler nur über den Begriff nähern.
Zu dieser Anschauung führten Kosuth nicht zuletzt seine Proto-Investigationen, die 1965 entstanden sind und seine nur aus Worten gebildeten Werke vorankündigen. In One and Three Chaires wird zum Beispiel deutlich, dass verschiedene Wirklichkeitsebenen immer nur einen Teil der Wirklichkeit erfassen:
Ein Stuhl steht an der Wand. Links neben ihm hängt eine originalgroße Fotoreproduktion dieses Stuhles. Rechts neben ihm ist eine fotografisch vergrößerte Wörterbuchdefinition des Begriffs "Stuhl" zu lesen. Das Stuhl-Objekt wird durch seine außergewöhnliche Präsentation zu einem Musterbeispiel der Gattung "Stuhl". Das Foto (das durch seinen Abbildcharakter der traditionellen Malerei am nächsten steht) weist auf die allgemeingültige Bedeutung und die damit verbundene Bildwürdigkeit = Kunstwürdigkeit hin. Doch am meisten nähert sich die Wörterbuch-Definition der abstrakten Idee (die alle denkbaren Stühle und alle sich an sie knüpfenden Assoziationsmöglichkeiten einschließt).
Nach seinen frühen, Objekt, Abbild und Definition umfassenden Arbeiten konzentrierte sich Kosuth in verschiedenen Werkgruppen auf die Reflexion der Idee, auf den Begriff, die Schrift. Für die ausgewählten Textzitate anderer Autoren wählte Kosuth grundsätzlich das fotografische Vergrößerungsverfahren. Als Neontexte gestaltete er hingegen eigene Wortschöpfungen. Beide Methoden kombinierte er, wenn er Fremdzitate durch Streichungen, darübergeschriebene "Verbesserungen", oder Randbemerkungen in Neon überarbeitete. Die Tatsache, dass Joseph Kosuth die künstlerische Form vernachlässigt, ihre Bedeutung negiert, macht ihn zu einem typischen Vertreter der Konzeptkunst.