Kathrin Böhm
Günter Braunsberg: Kathrin Böhm. Malerei antwortet auf Architektur
in: positionen + tendenzen. Junge Kunst in Franken 1995, Nürnberg 1995, S. 26
Malerei antwortet auf Architektur
Decorum? Jahrhundertelang waren die Gattungen der bildenden Kunst in einem hierarchischen System geordnet. Daraus ergab sich für das Verhältnis zwischen Architektur und Malerei: Die Architektur bildet das übergreifende Gestaltungssystem, die Malerei ordnet sich unter. Architekturbezogene Malerei = Decorum?
Kathrin Böhms Gemälde am und im Schloss Faber-Castell in Stein beziehen sich auf die architektonischen Gegebenheiten. Das Prinzip Malerei reagiert auf das Prinzip Architektur. Die neu eingefügte Malerei erhält durch ihre Platzierung vor Ort eine Selbstverständlichkeit, die Dauerhaftigkeit evoziert. Die Architektur tritt am Außenbau in historistischem Gewand auf. Mehrere Baukörper fügen sich zu einem vielgliedrigen, burgartigen Gebäudekomplex zusammen. Die einzelnen Baukörper gliedern sich in Geschosse, Fensterachsen, plastisch hervortretende Baudekorationen. Viele Einzelteile bilden ein Ganzes. Kathrin Böhm überlagert eine Zone der Architektur durch Malerei. An die Stelle von Geschoß, Fenster, Dekoration tritt jetzt eine einzige orangefarbene Fläche.
Kathrin Böhm steht in der Tradition der Farbfeld-Malerei, doch ihre Farbfelder beziehen sich nicht innerhalb der Grenzen des Bildformates auf benachbarte Farbfelder - ihr Bezugspunkt liegt außerhalb des Bildformates im architektonischen Umraum. Sie greift auch die Tradition der monochromen Malerei auf und vertraut einer einzigen Farbe alles an: ihre Intuition und ihr Ausdrucksbedürfnis einerseits - andererseits ihren Drang nach einer systematischen Untersuchung dessen, was Malerei ist.
So nimmt das Treppenhaus-Gemälde nicht nur in Proportion und Farbigkeit auf die Jugendstilarchitektur Bezug, sondern verdeutlicht auch, dass ein Gemälde "Stoff auf Keilrahmen, bemalt" ist - und bezieht sich zusätzlich auf zwei Traditionsstränge des Gemäldes: das Wandbild, dessen Größe Pate stand (vgl. auch die amerikanischen "murals" der fünfziger Jahre) und das Tafelbild, auf dessen potentielle Transportierbarkeit das An-die-Wand-Gelehnt-sein anspielt (auch wenn niemand ohne weiteres dieses Bild hinaustragen könnte). Malerei ist eine Analyse der Malerei.
Decorum? Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erlangte die Malerei eine Dominanz über alle anderen Gattungen der Kunst. Innerhalb der Malerei ereigneten sich alle innovativen Errungenschaften der klassischen Moderne. Heute ist in allen Bereichen der Kunst gleichermaßen mit Innovationen zu rechnen. Dabei fällt auf, dass interessante Neuentwicklungen vor allem dort stattfinden, wo Traditionen nicht negiert, sondern bewusst aufgegriffen und neu durchdacht werden. Kathrin Böhm setzt mit Selbstverständlichkeit Traditionen fort und sprengt mit der gleichen Selbstverständlichkeit die Fesseln dieser Traditionen. Ihre Malerei ist alles andere als Decorum!
in: positionen + tendenzen. Junge Kunst in Franken 1995, Nürnberg 1995, S. 26
Malerei antwortet auf Architektur
Decorum? Jahrhundertelang waren die Gattungen der bildenden Kunst in einem hierarchischen System geordnet. Daraus ergab sich für das Verhältnis zwischen Architektur und Malerei: Die Architektur bildet das übergreifende Gestaltungssystem, die Malerei ordnet sich unter. Architekturbezogene Malerei = Decorum?
Kathrin Böhms Gemälde am und im Schloss Faber-Castell in Stein beziehen sich auf die architektonischen Gegebenheiten. Das Prinzip Malerei reagiert auf das Prinzip Architektur. Die neu eingefügte Malerei erhält durch ihre Platzierung vor Ort eine Selbstverständlichkeit, die Dauerhaftigkeit evoziert. Die Architektur tritt am Außenbau in historistischem Gewand auf. Mehrere Baukörper fügen sich zu einem vielgliedrigen, burgartigen Gebäudekomplex zusammen. Die einzelnen Baukörper gliedern sich in Geschosse, Fensterachsen, plastisch hervortretende Baudekorationen. Viele Einzelteile bilden ein Ganzes. Kathrin Böhm überlagert eine Zone der Architektur durch Malerei. An die Stelle von Geschoß, Fenster, Dekoration tritt jetzt eine einzige orangefarbene Fläche.
Kathrin Böhm steht in der Tradition der Farbfeld-Malerei, doch ihre Farbfelder beziehen sich nicht innerhalb der Grenzen des Bildformates auf benachbarte Farbfelder - ihr Bezugspunkt liegt außerhalb des Bildformates im architektonischen Umraum. Sie greift auch die Tradition der monochromen Malerei auf und vertraut einer einzigen Farbe alles an: ihre Intuition und ihr Ausdrucksbedürfnis einerseits - andererseits ihren Drang nach einer systematischen Untersuchung dessen, was Malerei ist.
So nimmt das Treppenhaus-Gemälde nicht nur in Proportion und Farbigkeit auf die Jugendstilarchitektur Bezug, sondern verdeutlicht auch, dass ein Gemälde "Stoff auf Keilrahmen, bemalt" ist - und bezieht sich zusätzlich auf zwei Traditionsstränge des Gemäldes: das Wandbild, dessen Größe Pate stand (vgl. auch die amerikanischen "murals" der fünfziger Jahre) und das Tafelbild, auf dessen potentielle Transportierbarkeit das An-die-Wand-Gelehnt-sein anspielt (auch wenn niemand ohne weiteres dieses Bild hinaustragen könnte). Malerei ist eine Analyse der Malerei.
Decorum? Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erlangte die Malerei eine Dominanz über alle anderen Gattungen der Kunst. Innerhalb der Malerei ereigneten sich alle innovativen Errungenschaften der klassischen Moderne. Heute ist in allen Bereichen der Kunst gleichermaßen mit Innovationen zu rechnen. Dabei fällt auf, dass interessante Neuentwicklungen vor allem dort stattfinden, wo Traditionen nicht negiert, sondern bewusst aufgegriffen und neu durchdacht werden. Kathrin Böhm setzt mit Selbstverständlichkeit Traditionen fort und sprengt mit der gleichen Selbstverständlichkeit die Fesseln dieser Traditionen. Ihre Malerei ist alles andere als Decorum!