Meide Büdel
Günter Braunsberg: Materialästhetik und Ortsbezug. Anmerkungen zu Meide Büdels Skulpturen im öffentlichen Außenraum, in: Andrea Dippel / Matthias Strobel (Hg.): Im Gleichgewicht - Karin Blum / Meide Büdel, Ausst. Kat. Kunstvilla. Wien (Verlag für moderne Kunst) 2015, S. 79 – S. 91
Materialästhetik und Ortsbezug
Anmerkungen zu Meide Büdels Skulpturen im öffentlichen Außenraum
Meide Büdel ist eine der renommiertesten Nürnberger Künstlerinnen auf dem Gebiet der Kunst im öffentlichen Raum. 1993 wurde sie von dem damaligen Direktor der Nürnberger Kunsthalle Curt Heigl für zwei Wettbewerbe in Kronach und Bamberg vorgeschlagen, die sie für sich entscheiden konnte. Seither realisierte sie zahlreiche bedeutende Skulpturen im Außenraum, welche immer neue Beziehungen zwischen Kunstwerk, Umwelt und Öffentlichkeit herstellen. (1)
Materialästhetik und Ortsbezug
Anmerkungen zu Meide Büdels Skulpturen im öffentlichen Außenraum
Meide Büdel ist eine der renommiertesten Nürnberger Künstlerinnen auf dem Gebiet der Kunst im öffentlichen Raum. 1993 wurde sie von dem damaligen Direktor der Nürnberger Kunsthalle Curt Heigl für zwei Wettbewerbe in Kronach und Bamberg vorgeschlagen, die sie für sich entscheiden konnte. Seither realisierte sie zahlreiche bedeutende Skulpturen im Außenraum, welche immer neue Beziehungen zwischen Kunstwerk, Umwelt und Öffentlichkeit herstellen. (1)
(1) Der Autor sieht die Arbeiten von Meide Büdel als Fortsetzung der Tradition der Skulptur.
Die Künstlerin selbst bevorzugt den Begriff Objekt in Abgrenzung zur klassischen Bildhauerei.
Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Skulpturen, die für den öffentlichen Raum im Auftrag von Kommunen oder privatwirtschaftlichen Unternehmen entstanden sind. Die Objekte, die im Auftrag der evangelischen Kirche entstanden, werden dagegen im Beitrag von Helmut Braun behandelt, siehe: Meide Büdel – De tranquillitate animi, Kunstvilla Nürnberg 2015, S. 51 f.
Der Kronacher Kunstwettbewerb bezog sich auf die „Hochwasserfreilegung“ genannten Schutzmaßnahmen, die zwischen 1961 und 1991 durchgeführt wurden und künftig das Stadtgebiet vor regelmäßig wiederkehrenden Überschwemmungen bewahren sollen. Meide Büdels bewegliche Skulptur aus Industriestahl und Eichenholz bezieht sich thematisch auf das Wasser und auf die Tatsache, dass die Flüsse Kronach, Haßlach und Rodach früher als Transportwege für Holz genutzt wurden. Die skulpturale Gesamtform des sanft sichelförmig geschwungenen Objekts wird durch Metall definiert. Holz ist als ästhetischer Kontrapunkt in den vorgegebenen Rahmen eingefügt. Die ursprünglich glatten Holzflächen entwickeln im Laufe der Jahre ein beständig deutlicher in Erscheinung tretendes Relief, indem sich die linearen Strukturen der Jahresringe und Äste durch Witterungseinflüsse dreidimensionaler ausprägen. Das Holz verändert seine Farbigkeit durch Alterung. Auch das Metall löst durch seine Rostbildung beim Betrachter Assoziationen in Richtung Zeit und Vergänglichkeit aus. Im Jahr ihrer Errichtung 1993 sah die Skulptur anders aus als heute – fast zwanzig Jahre später. Der Veränderungsprozess des Materials gehört zum Kunstkonzept, wobei der Betrachter mit Sicherheit den Zeitaspekt der Materialästhetik unmittelbarer wahrnimmt als die durch Witterungseinflüsse verursachte Kinetik. Bei Regen saugt das Holz Wasser auf und wird schwerer. Dadurch senkt sich die holzdominierte Seite der Skulptur nach unten. Bei Austrocknung hebt sie sich wieder. Meide Büdel vergleicht dies mit Ebbe und Flut oder dem Wechsel der Gezeiten. Nur wer sich Zeit nimmt für die Betrachtung und häufiger vorbeikommt, kann diese Veränderung wahrnehmen. Der Künstlerin geht es um Zeit und Ewigkeit. Viele Passanten denken beim Anblick der Skulptur spontan an ein Boot. Nach Regenfällen spiegelt sich dieses in seiner wassergefüllten Standfläche. Ein Konvex-Konkav-Motiv entsteht, das die Unendlichkeit des im Wasser gespiegelten Himmels in die künstlerische Arbeit einbezieht. Die Skulptur steht nicht auf einem Sockel, sondern ruht in einer rechteckigen, flachen Vertiefung, welche mit glatten Steinplatten ausgelegt ist und bisweilen zur Wasserfläche wird. Dadurch grenzt sich die Zone des Kunstwerks vom Kopfsteinpflaster des Platzes ab. Als Standort wurde genau die Mittelachse zwischen Flusslauf und Architekturfront gewählt, die durch die Skulptur im Verhältnis ein Drittel zu zwei Drittel geteilt wird. Der Platz, auf dem die Skulptur steht, wird auf diese Weise räumlich proportioniert.
1993/1994 erhielt Meide Büdel im Rahmen der Platzgestaltung der „Schranne“ im ehemaligen Franziskanerkloster in Bamberg die Möglichkeit, den gesamten Innenhof neu zu gestalten, wodurch eine außergewöhnliche Symbiose aus Skulptur, Platz und Architektur entstand. An die ursprüngliche Nutzung als barocker Klostergarten erinnern sechs Wildbirnbäume, welche in der Tradition geometrischer Gartengestaltungen als kleine Allee die zum Haupteingang führende Mittelachse betonen. Dieser Weg wird durch eine zentrale, auf die Proportionen der Architektur bezogene Absenkung des Bodenniveaus zu einem „Platz im Platz“ erweitert. Die von Vertikalen, Horizontalen und rechten Winkeln beherrschte Struktur des Innenhofes erfährt durch Meide Büdels diagonal platzierte, sanft sichelförmig geschwungene Metallskulptur eine entscheidende Umdeutung. Jeder, der sich dem Haupteingang nähert, schreitet „über“ das Kunstwerk, dessen unterirdischer Bogen allerdings nur in der Imagination des Betrachters vorhanden ist. Meide Büdel konzentriert sich in ihrer Bamberger Skulptur ganz auf das Material Metall, das sie in Bezug setzt zum Stein des Bodenbelags und der Architektur sowie der inszenierten Natur der Bäume. Eine Zwiesprache entsteht. Tradition und Gegenwart durchdringen einander in Form und Inhalt und gehen auf diese Weise eine unauflösliche Symbiose ein. Bezeichnenderweise steht das Kunstwerk nicht auf einem Sockel. Es versinkt gewissermaßen im Fußboden. Trotz seiner singulären Präsenz wird es nicht herausgehoben, sondern eingebunden.
Durchdringung und Symbiose der gestalterischen Elemente des Außenraums spielen bei dem 1995 für die Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen entstandenen kinetischen Objekt keine Rolle. Stattdessen werden drei Elemente gegeneinander gesetzt und in eine Balance gebracht: einerseits die statische Geometrie der modernen Architekturfassaden, andererseits die spiegelnde, bisweilen wellige, 638 Quadratmeter große Wasserfläche zwischen den Gebäuden und schließlich die rund 12,5 Meter aus dem Wasser aufragende Metall-Holz-Skulptur. Diese besteht aus einem schräg nach oben gerichteten Rahmen aus Stahl, in den ein „Zeiger“ eingepasst ist. Das kürzere, untere Ende des „Zeigers“ ist aus Stahl, das längere, obere aus Lärchenholz. Bei Regen wird das Holz schwerer und der „Zeiger“ senkt sich. Bei Sonne trocknet er aus und hebt sich wieder. Diese Bewegung findet bereits bei einer Gewichtsveränderung von 0,1 % statt! Meide Büdel fasste ihre Idee für diese hydrokinetische Skulptur mit folgenden Worten zusammen: „Die Technische Fakultät in Erlangen besteht aus verschiedenen, hoch spezialisierten Studienrichtungen und Lehrstühlen. Das von mir für die architektonische und inhaltliche Situation konzipierte Objekt setzt den Gedanken der Physik und Mechanik in einfachster Form um.“(2) Meide Büdels Skulptur definiert den öffentlichen Außenraum neu. Die Gebäude und die Wasserfläche waren bereits vorhanden. Aber erst durch die Setzung der Künstlerin wird das funktional bedingte Sprinklerbecken umgedeutet zu einer durch ein Kunstwerk nobilitierten Wasserfläche, vergleichbar zu Traditionen in Schlossarchitektur und Gartenkunst. Bezeichnenderweise stellt sich dem Betrachter dabei auch die Frage, ob es sich bei dem in der Wasserfläche befindlichen Sprinklerbecken aus Betonmauern tatsächlich um technische Einbauten handelt, oder vielleicht doch um ein Werk der Minimal Art. Sicher ist auf jeden Fall, dass die emporstrebende Skulptur von Meide Büdel in Platzierung und Orientierung auf dieses horizontal lagernde Betonobjekt Bezug nimmt. Die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst wird zur Diskussion gestellt. Der Blick des Betrachters auf den öffentlichen Außenraum wird geschärft.
(2) Meide Büdel in: Institut für moderne Kunst (Hg.): Meide Büdel. Arbeiten im öffentlichen Raum. Nürnberg 2001, S. 47.
Bei der 1995 entstandenen Skulptur am Stadtpark „traut man dem Sieben-Tonnen-Koloss soviel Schwung gar nicht zu: Aus der Entfernung gesehen, scheint er vom Boden abzuheben, steht außerdem innerlich unter Spannung, wie die Feder in einem Uhrwerk. Erst der Passant oder Radler, der sich dem Bogen nähert, vielleicht von unten sieht, nimmt die Wucht des Stahlobjekts wahr.“(3) Schwung, Spannung, Dynamik setzt Meide Büdel der Statik und ästhetischen Kühle der blau gerahmten Glasfronten und weiß dominierten Wandflächen der Wohnanlage „Am Stadtpark“ entgegen. Ihre Skulptur nutzt die kleine, durch die zurückspringende Fassade geschaffene Plaza, um von hier aus einen Bogen zu spannen, der über die Grundstücksgrenze hinausweist in den öffentlichen Raum mit seinen Alleebäumen und der älteren Bebauung der 1930er bis 1960er Jahre. Dabei fällt auf, dass der künstlerisch eingesetzte Stahl durch seine aus dem Boden herauswachsende Form und insbesondere durch die Schattierungen seiner anthrazitfarbenen Oberfläche eine erstaunliche Nähe zur Natur der Bäume entfaltet, ohne sein Herkommen aus der industriellen Produktion zu verleugnen. Der Eindruck von Spannung entsteht durch das Ineinandergreifen zweier Bogenformen. Der innere, stärker gekrümmte Bogen scheint die Last des äußeren, ihn rahmenden Bogens zu tragen. Das klassische Bildhauerthema des Tragens und Lastens verbindet sich mit der spontanen Assoziation einer Metallfeder, die jederzeit mit einem kraftvollen Ruck nach Oben schnalzen könnte. Allerdings wird der Eindruck von Dynamik und Spannung alleine durch die Form erzeugt. Eine reale Bewegung ist nicht vorhanden.
(3) Thomas Kliemann: Leichtigkeit des Stahls, in: Nürnberger Zeitung, 16.12.1995
Auch die 1996 datierte, diskus- bzw. linsenförmige Skulptur im Schweinfurter Gesundheitsamt, deren Durchmesser 2,30 Meter misst, strahlt eine Labilität und Beweglichkeit aus, die real nicht vorhanden ist. Ihre Schräglage ist fest fixiert. Wippende oder kreisende Bewegungen bleiben der Imagination des Betrachters vorbehalten. Dennoch zeichnet sich in unserer Wahrnehmung dieses Objekt durch eine besondere Leichtigkeit aus, welche die tatsächliche Schwere der verwendeten Materialien aufzuheben scheint. Sie steht nicht auf einem Sockel, sondern „schwebt“ über ihrer eigenen runden Bodenscheibe, welche durch eine kreisrunde Wasserrinne vom restlichen Bodenbelag abgegrenzt wird. Das Kunstwerk schafft einen neuen Kristallisations- und Kommunikationspunkt zwischen den umliegenden Ämtergebäuden, die zuvor durch „eine dem Wildwuchs preisgegebene, formal nicht definierte Fläche“ (4) getrennt waren. Skulptur, Boden und Platzgestaltung, umgebende Architektur und Natur in Form des erhaltenen Baumbestandes bilden ein Gesamtensemble. „Der visuelle Sinneseindruck wird noch durch ein akustisches Erlebnis gesteigert, ein leises Plätschern, Impressionen, die den Betrachter einladen, diesen Ort als Oase der Entspannung und Ruhe wahrzunehmen.“ (5)
(4) Meide Büdel in: Institut für moderne Kunst (Hg.): Meide Büdel. Arbeiten im öffentlichen Raum. Nürnberg 2001, S. 62.
(5) Andrea Brandl in: Erich Schneider (Hg.): Inge Gutbrod – Meide Büdel – Karin Blum. Bilder & Objekte. Ausst. Kat. Städtische Sammlungen Schweinfurt. Neustadt/Aisch 1999, S. 29.
Eine extreme Gegenposition zum kommunikativen Gesamtensemble nimmt Meide Büdels Bayreuther Projekt von 1998 ein. Die Künstlerin setzte im Gelände der Justizvollzugsanstalt ein markantes Zeichen: ein vier Meter hoher, fast kreisrunder, an einer Stelle offener Ring aus Stahl und Holz. Seine leichte Schräglage überwindet die starre Statik und verleiht ihm scheinbare Beweglichkeit. Seine Öffnung und Dynamik soll eine Gegenposition zur beklemmenden Situation des Eingesperrtseins einnehmen. Skulptur als positives Element in einer trostlosen Umgebung? Auffallend ist, dass die Skulptur an diesem Ort ein singuläres Zeichen bleibt, welches formale und inhaltliche Bezüge zu seiner Umgebung aufnimmt, sich aber nicht mit ihr zu einer neuen Einheit verbindet. Das Kunstwerk steht vor der Front vergitterter Fenster wie ein Bote aus einer anderen Welt. Es wäre interessant nachzufragen, ob es Gefangene gibt, die es für sich als ein Zeichen der Hoffnung erleben. In dieser Arbeit kombiniert Meide Büdel Lärchenholz mit gestrahltem, nicht rostendem Edelstahl. Die Farbveränderung des Holzes durch Wetter und Zeit in Richtung Blau-Grau gehörte von Anfang an zu ihrem Farbkonzept, das die Material- und Farbdifferenzierung zum silbrigen Grau des matten Edelstahls erlebbar machen will. Ergänzt wird das Grau-Thema durch die tristen Betonplatten, welche die Zone des Kunstwerks vom umgebenden Rasen abgrenzen und die Skulptur auf Distanz zu ihrem Umraum halten. Dadurch wird die Isolation des Kunstwerks hervorgehoben.
Seit dem Jahr 2000 verklammern am Nordufer des Großen Brombachsees drei jeweils 13,5 Meter lange Parallelbögen aus Stahl Land und Wasser. In einem spannungsvollen Kurvenverlauf steigen sie sacht an, um dann in einer steilen Krümmung ins Wasser abzufallen. Ihr Material Cor-Ten-Stahl hat die Eigenschaft anfangs stark zu rosten, sich aber ab einem gewissen Korrosionsgrad nicht weiter zu zersetzen. Da der Stausee ein stark schwankendes Wasserniveau besitzt, ist es bei Niedrigwasser möglich, an den orange bis tief-braunroten Tönungen die unterschiedlichen Wasserstände der Vergangenheit wahrzunehmen. Meide Büdels Skulptur bezieht sich auf den Naturraum, auf den größtmöglichen Abstand zum anderen Ufer, auf die Weite des Horizonts und nicht zuletzt auf die Spiegelungen des Himmels. Sie setzt ein markantes Zeichen, das Natur und Technik verknüpft und den Standort des Betrachters hinterfragt, dessen Blicke und Gedanken immer wieder vom Kunstwerk abschweifen – hin zu Landschaft, Natur und Weite, um dann nach einiger Zeit zurückzukehren zum skulpturalen Objekt.
Seit 2002 steht im Innenhof der Waldklinik in Gera eine Skulptur aus vier massiven Ringen aus Industriestahl, welche sich um einen Block aus sechs miteinander verbundenen Eichenbalken legen. Die Ringe sind derart angeordnet, dass sie wie eine Bewegungssequenz erscheinen, bei der ein Ring in vier Schritten in eine immer deutlichere Schräglage kippt. Ein Spannungsfeld entsteht zwischen assoziierter Dynamik und ruhender Skulptur. Dabei ist auch die Farbentwicklung für die Künstlerin wichtig: „Das Eichenholz verändert mit der Zeit seine Farbe, wird intensiv blaugrau und bildet dann mit dem orange-braunen Stahl eine komplementäre Farbeinheit.“ Das Kunstwerk präsentiert sich im engen Innenhof wie ein Museumsstück, das auch sehr gut in einem Galerieraum präsentiert werden könnte. Es ist auf sich selbst bezogen und „funktioniert“ unabhängig von seinem Aufstellungsort. Innerhalb des Klinikums schafft es jedoch einen ganz besonderen Ort, der Patienten und Personal dazu einlädt, einen Moment lang aus dem Klinikalltag herauszutreten, sich auf einer der Bänke niederzulassen und sich der Betrachtung des Kunstwerks zu widmen.
Meide Büdels 2005 für den Heinrich-Böll-Platz in Nürnberg realisierte Skulptur wurde anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Bürgervereins Langwasser in Auftrag gegeben und sollte an die wechselvolle Geschichte des Stadtteils Langwassers erinnern. Das dem Reichparteitagsgelände benachbarte Gebiet wurde in der Zeit des Nationalsozialismus für verschiedene Lager genutzt und diente ab 1939 vor allem als Kriegsgefangenenlager. In den Jahren 1945 bis 1957 wurden hier vor allem Flüchtlinge untergebracht. Seit den 1950er Jahren entstanden neue Wohnsiedlungen und die Umwandlung in eine moderne Trabantenstadt mit U-Bahn-Anschluss an das Stadtzentrum begann. Die Aufbauleistung und insbesondere die gesellschaftlichen Umbrüche seit dem Zweiten Weltkrieg sollten durch ein Kunstwerk gewürdigt werden. Büdel wählte eine dynamische, scheinbar aus eigener Kraft aufbrechende Form, bestehend aus zwei übereinandergelegten Flächen aus Industriestahl, die gebogen, geknickt und gefaltet erscheinen. Unabhängig von der abstrakten Gestaltung mag mancher Betrachter vielleicht auch ein sich öffnendes Buch der Geschichte assoziieren. Die Skulptur ist eingebunden in den großen zentralen Platz der Trabantenstadt. Von den schmal und spitz aufragenden Türmen der Paul-Gerhardt-Kirche über die den Platz dominierende halbkreisförmige, mächtige Springbrunneninszenierung bis zu Büdels Skulptur und den diese ebenfalls halbkreisförmig umstellenden Bäumen ist eine deutliche Hauptachse der Platzgestaltung wahrnehmbar, die bezeichnenderweise keinen axialen Bezug zum Gemeinschaftshaus aufnimmt. Nur die unmittelbare Umgebung der Skulptur ist von Meide Büdel ebenfalls gestaltet worden: „Um das Erinnerungsmal in den Platz einzubinden, habe ich exakt die Größe einer halbkreisrunden Fläche auf der gegenüberliegenden Platzseite übertragen. Diese gespiegelte Form besteht aus schieferfarben eingefärbten Betonplatten und bildet das farbliche Komplementär zum Objekt.“ (6)
(6) Meide Büdel in: Meide Büdel. Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. München 2008, S. 29.
Im Jahr 2012 wurde auf dem Gelände des Bezirksklinikums Ansbach zum Gedenken an die über zweitausend Menschen, die allein in Ansbach dem nationalsozialistischen Euthanasieprogramm zum Opfer fielen, ein Mahnmal errichtet. Meide Büdel beschichtete eine 2,45 Meter hohe Stahltafel mit einer Bleifolie, die auf Eingeschlossenheit, Undurchdringlichkeit und Hermetik anspielt. Die über zweitausend händisch eingeritzten Striche stehen für die Patienten der Anstalt, welche „wie Material behandelt und ebenso entsorgt worden sind“. Ein wichtiges Stilmittel bildet dabei der gepflasterter Schattenwurf der Gedenktafel: Wer das Mahnmal betrachten will, muss in den „Schatten der Geschichte treten“. (7)
(7) Meide Büdel in: flz, Nürnberger Nachrichten, 26.11.2012.
Es fällt auf, dass innerhalb des Gesamtwerks von Meide Büdel im Jahrzehnt nach 1993 die spektakulärsten Großprojekte im öffentlichen Außenraum entstanden sind. Diese setzten das Kunstwerk in der Tradition der „klassischen“, aus Holz oder Metall gefertigten Skulptur in immer neue Spannungsverhältnisse zu seinem Aufstellungsort, zu Platzgestaltungen, Architekturensembles oder ganzen Landschaften. Solche Projekte sind abhängig von der Auftragslage und der Bereitschaft öffentlicher und privater Bauträger, einen Teil der Baukosten für „Kunst am Bau“ auszugeben. Die angespannte konjunkturelle Lage führte zu einer klaren Zäsur bei den äußeren Rahmenbedingungen. Andererseits erfolgte eine deutliche inhaltliche Verschiebung von „Kunst als Kunst“ zu Kunst im Dienste von Erinnerungs- oder Mahnmalen sowie Kunst im kirchlichen Kontext. (8) Trotz der stärkeren Gewichtung außerkünstlerischer Aspekte gelang es Meide Büdel stets, prägnante Werke zu schaffen, welche nie nur künstlerische Gestaltungen vorgegebener Inhalte sind. Immer bleibt die Kunst Form- und Ausdrucksträger.
Die Werke von Meide Büdel lassen sich in einen weit gefassten kunsthistorischen Rahmen einordnen. Ihr Schaffen rekapituliert einerseits die Geschichte der Skulptur seit rund 500 Jahren und schöpft andererseits aus diesem Fundus immerwährende Gleichnisse für das menschliche Leben.
Die Künstlerin studierte von 1982 bis 1988 Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg bei Wilhelm Uhlig (geb. 1930) und Christian Höpfner (1939 – 2014). Beide Professoren – der erste als Schüler von Hans Wimmer (1907 – 1992), der zweite als Schüler von Gerhard Marcks (1889 – 1981) – griffen die Idee ihrer Lehrer auf, die jahrtausendealte Tradition der figürlichen Skulptur nach ihrem nationalsozialistischen Missbrauch nicht aufzugeben, sondern daraus ein künstlerisch neu definiertes, zukunftstaugliches Menschenbild zu entwickeln. Dieses Ideal der Nachkriegsjahre, welches als Gegenposition zu den im Nationalsozialismus entstandenen heroisierten „Übermenschen“ verstanden werden muss, hatte in den 1980er Jahren an Wirkung und Bedeutung verloren. Auf den ersten Blick scheint Meide Büdel seit ihren Studienjahren eine klare Gegenposition zur Generation ihrer Lehrer einzunehmen. Doch die Künstlerin betont stets, dass für ihre künstlerische Entwicklung die „strenge Uhlig-Schule“ von elementarer Bedeutung war. Das vordergründig figürliche Kunstkonzept war für sie nicht mehr tragfähig, aber die Fragestellungen, Diskussionen und Zielsetzungen bezüglich der Aufgabenstellung „Skulptur“ bildeten das Fundament ihrer weiteren künstlerischen Entwicklung. Körpererfahrungen überträgt die begeisterte Sportlerin in skulpturale Spannung und Balance. Das äußere figürliche Detail spielt keine Rolle, aber das „Innere“ – als körperliche und geistige Wahrnehmung – wurde im Lauf der Zeit zum Schlüsselbegriff ihres künstlerischen Wirkens.
Das Material Holz hatte die Bildhauerin bereits als Kind fasziniert und zu dem Entschluss geführt, Bildhauerin werden zu wollen. Während ihrer Ausbildungszeit entdeckte sie dann zufällig, wie eindringender Regen den Holzfußboden in der Akademie aufquellen ließ und in eine neue Form brachte. (9) Daraufhin schützte sie das Holz ihrer Skulpturen nicht mehr vor Witterungseinflüssen, sondern machte sich diese nutzbar, um hydrokinetische Skulpturen zu entwickeln oder mit Hilfe von Alterungsprozessen Vergänglichkeit und Ewigkeit zu thematisieren.
Bereits in der frühen Neuzeit begannen Künstler wie Veit Stoß (um 1447 – 1533) oder Tilman Riemenschneider (um 1460 – 1531) damit, auf eine farbige Fassung ihrer Holzskulpturen zu verzichten, um das Material direkt ästhetisch nutzbar zu machen. Das 19. Jahrhundert warf dann die Frage nach der Materialgerechtigkeit auf. Meide Büdel und andere Künstler der Post-Minimal-Sculpture-Generation schließen Veränderungsprozesse in ihre Kunstkonzepte ein. Dabei lassen die Alterungsprozesse des Holzes viele Interpreten an die Ästhetik der Arte Povera denken.
Das Material Metall in Form von Industriestahl setzt Meide Büdel in Fortsetzung der Tradition des klassischen Bronzegusses ein. Sie formt keine Figur aus Ton und Gips, um sie dann in Bronze zu gießen. Sie hält ihre Formideen in exakten Konstruktionszeichnungen fest, baut maßstabsgetreue Modelle und produziert in Zusammenarbeit mit Fachfirmen ihre Großskulpturen. Der häufig zum Einsatz kommende Industriestahl lässt an Werke des amerikanischen Bildhauers Richard Serra (geb. 1939) denken, zum Beispiel an dessen Arbeit Terminal bei der documenta VI im Jahr 1977. (10) Gerade dieser Vergleich verdeutlicht jedoch, dass für Meide Büdel Formfindungstraditionen der klassischen Bildhauerei nach wie vor von größerer Bedeutung sind, als die stärker auf industrielle Formvorgaben bezogenen Minimal-Konzepte.
Zu Meide Büdels künstlerischem Schaffen gehören neben ihren skulpturalen Werken von Anfang an auch partizipative Projekte, die, um mit dem deutschen Fluxus-Künstler Joseph Beuys (1921 – 1986) zu sprechen, unter dem Begriff „Soziale Plastik“ zusammengefasst werden können. Beuys bezeichnete damit seine Vorstellung von einer gesellschaftsverändernden Kunst, die nicht an das materielle Artefakt gebunden ist, sondern vor allem als ihre sozialen Konsequenzen reflektierende Handlung in Erscheinung tritt. (11) Meide Büdel ist seit 1990 beteiligt an zahlreichen Findungsprozessen, Projekten und Arbeitskreisen zum künstlerischen Umgang mit dem öffentlichen Raum und begleitete in diesem Rahmen Konzepte, die interdisziplinär andere Kunstsparten mit einbezogen. Im Jahr 1999 war sie Gründungsmitglied der bis 2004 bestehenden Künstlergruppe „Querfeld“ und 2007 der „pARTizipatoren“, die sich inzwischen nach dem Nürnberger Stadtteil St. Leonhard, in dem die meisten Aktionen stattfinden, in „LeoPART“ umbenannt haben. Blieb von diesen temporären Projekten lediglich die Dokumentation in Katalogen und Flyern, konnte mit der im Auftrag der Nürnberger Wohnungsbaugesellschaft wbg entstandenen und 2015 eingeweihten Wand- und Bodengestaltung „Signatur NordOstBahnhof“ erstmals ein mehrjähriger Prozess dauerhaft in den öffentlichen Raum transferiert werden. Das von Meide Büdel in Zusammenarbeit mit Kerstin Polzin und Anja Schoeller als Künstlerduo „Zwischenbericht“ erarbeitete Projekt thematisierte gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Neubaugebiets am Nordostbahnhof zentrale Lebensfragen wie Glück und Zufriedenheit. (12)
Meide Büdels erweiterter Kunstbegriff umfasst somit nicht nur skulpturale Interventionen im Landschafts- oder Stadtraum, sondern darüber hinaus die gesellschaftliche Kommunikation mit künstlerischen Mitteln. Maßgeblich für beide Arbeitsbereiche sind Materialästhetik und Ortsbezug, bzw. der Einklang von Kunstwerk, Umwelt und Öffentlichkeit.
Die Werke von Meide Büdel lassen sich in einen weit gefassten kunsthistorischen Rahmen einordnen. Ihr Schaffen rekapituliert einerseits die Geschichte der Skulptur seit rund 500 Jahren und schöpft andererseits aus diesem Fundus immerwährende Gleichnisse für das menschliche Leben.
Die Künstlerin studierte von 1982 bis 1988 Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg bei Wilhelm Uhlig (geb. 1930) und Christian Höpfner (1939 – 2014). Beide Professoren – der erste als Schüler von Hans Wimmer (1907 – 1992), der zweite als Schüler von Gerhard Marcks (1889 – 1981) – griffen die Idee ihrer Lehrer auf, die jahrtausendealte Tradition der figürlichen Skulptur nach ihrem nationalsozialistischen Missbrauch nicht aufzugeben, sondern daraus ein künstlerisch neu definiertes, zukunftstaugliches Menschenbild zu entwickeln. Dieses Ideal der Nachkriegsjahre, welches als Gegenposition zu den im Nationalsozialismus entstandenen heroisierten „Übermenschen“ verstanden werden muss, hatte in den 1980er Jahren an Wirkung und Bedeutung verloren. Auf den ersten Blick scheint Meide Büdel seit ihren Studienjahren eine klare Gegenposition zur Generation ihrer Lehrer einzunehmen. Doch die Künstlerin betont stets, dass für ihre künstlerische Entwicklung die „strenge Uhlig-Schule“ von elementarer Bedeutung war. Das vordergründig figürliche Kunstkonzept war für sie nicht mehr tragfähig, aber die Fragestellungen, Diskussionen und Zielsetzungen bezüglich der Aufgabenstellung „Skulptur“ bildeten das Fundament ihrer weiteren künstlerischen Entwicklung. Körpererfahrungen überträgt die begeisterte Sportlerin in skulpturale Spannung und Balance. Das äußere figürliche Detail spielt keine Rolle, aber das „Innere“ – als körperliche und geistige Wahrnehmung – wurde im Lauf der Zeit zum Schlüsselbegriff ihres künstlerischen Wirkens.
Das Material Holz hatte die Bildhauerin bereits als Kind fasziniert und zu dem Entschluss geführt, Bildhauerin werden zu wollen. Während ihrer Ausbildungszeit entdeckte sie dann zufällig, wie eindringender Regen den Holzfußboden in der Akademie aufquellen ließ und in eine neue Form brachte. (9) Daraufhin schützte sie das Holz ihrer Skulpturen nicht mehr vor Witterungseinflüssen, sondern machte sich diese nutzbar, um hydrokinetische Skulpturen zu entwickeln oder mit Hilfe von Alterungsprozessen Vergänglichkeit und Ewigkeit zu thematisieren.
Bereits in der frühen Neuzeit begannen Künstler wie Veit Stoß (um 1447 – 1533) oder Tilman Riemenschneider (um 1460 – 1531) damit, auf eine farbige Fassung ihrer Holzskulpturen zu verzichten, um das Material direkt ästhetisch nutzbar zu machen. Das 19. Jahrhundert warf dann die Frage nach der Materialgerechtigkeit auf. Meide Büdel und andere Künstler der Post-Minimal-Sculpture-Generation schließen Veränderungsprozesse in ihre Kunstkonzepte ein. Dabei lassen die Alterungsprozesse des Holzes viele Interpreten an die Ästhetik der Arte Povera denken.
Das Material Metall in Form von Industriestahl setzt Meide Büdel in Fortsetzung der Tradition des klassischen Bronzegusses ein. Sie formt keine Figur aus Ton und Gips, um sie dann in Bronze zu gießen. Sie hält ihre Formideen in exakten Konstruktionszeichnungen fest, baut maßstabsgetreue Modelle und produziert in Zusammenarbeit mit Fachfirmen ihre Großskulpturen. Der häufig zum Einsatz kommende Industriestahl lässt an Werke des amerikanischen Bildhauers Richard Serra (geb. 1939) denken, zum Beispiel an dessen Arbeit Terminal bei der documenta VI im Jahr 1977. (10) Gerade dieser Vergleich verdeutlicht jedoch, dass für Meide Büdel Formfindungstraditionen der klassischen Bildhauerei nach wie vor von größerer Bedeutung sind, als die stärker auf industrielle Formvorgaben bezogenen Minimal-Konzepte.
Zu Meide Büdels künstlerischem Schaffen gehören neben ihren skulpturalen Werken von Anfang an auch partizipative Projekte, die, um mit dem deutschen Fluxus-Künstler Joseph Beuys (1921 – 1986) zu sprechen, unter dem Begriff „Soziale Plastik“ zusammengefasst werden können. Beuys bezeichnete damit seine Vorstellung von einer gesellschaftsverändernden Kunst, die nicht an das materielle Artefakt gebunden ist, sondern vor allem als ihre sozialen Konsequenzen reflektierende Handlung in Erscheinung tritt. (11) Meide Büdel ist seit 1990 beteiligt an zahlreichen Findungsprozessen, Projekten und Arbeitskreisen zum künstlerischen Umgang mit dem öffentlichen Raum und begleitete in diesem Rahmen Konzepte, die interdisziplinär andere Kunstsparten mit einbezogen. Im Jahr 1999 war sie Gründungsmitglied der bis 2004 bestehenden Künstlergruppe „Querfeld“ und 2007 der „pARTizipatoren“, die sich inzwischen nach dem Nürnberger Stadtteil St. Leonhard, in dem die meisten Aktionen stattfinden, in „LeoPART“ umbenannt haben. Blieb von diesen temporären Projekten lediglich die Dokumentation in Katalogen und Flyern, konnte mit der im Auftrag der Nürnberger Wohnungsbaugesellschaft wbg entstandenen und 2015 eingeweihten Wand- und Bodengestaltung „Signatur NordOstBahnhof“ erstmals ein mehrjähriger Prozess dauerhaft in den öffentlichen Raum transferiert werden. Das von Meide Büdel in Zusammenarbeit mit Kerstin Polzin und Anja Schoeller als Künstlerduo „Zwischenbericht“ erarbeitete Projekt thematisierte gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Neubaugebiets am Nordostbahnhof zentrale Lebensfragen wie Glück und Zufriedenheit. (12)
Meide Büdels erweiterter Kunstbegriff umfasst somit nicht nur skulpturale Interventionen im Landschafts- oder Stadtraum, sondern darüber hinaus die gesellschaftliche Kommunikation mit künstlerischen Mitteln. Maßgeblich für beide Arbeitsbereiche sind Materialästhetik und Ortsbezug, bzw. der Einklang von Kunstwerk, Umwelt und Öffentlichkeit.
(8) Siehe Helmut Braun: Meide Büdel – De tranquillitate animi, S. 51 f.
(9) Siehe Meide Büdel in: Helmut Braun: Meide Büdel – De tranquillitate animi, S. 56.
(10) Bei Meide Büdel handelt es sich meist um St37-Stahl. Cor-Ten-Stahl wurde nur bei zwei Projekten verwendet: 1995 in Schweinfurt, 1999 am Brombachsee.
(11) Vgl. Barbara Lange: Soziale Plastik. In: Hubertus Butin (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst. Köln 2002, S. 276-279.