Michael Reiter
Günter Braunsberg: Michael Reiter: ohne Titel, 1991
in: AUS DER SAMMLUNG. Skizze fünf, Kunsthalle Nürnberg 1991, S. 18
Michael Reiter: ohne Titel, 1991
Markisenstoff, 250 x 490 cm, erworben 1991 für die Sammlung internationaler zeitgenössischer Kunst der Stadt Nürnberg, Dauerleihgabe im Neuen Museum Nürnberg
Die Grundprinzipien der traditionellen Malerei sind Farbe, Form und (zur dreidimensionalen Illusion erweiterte) Zweidimensionalität. Reiter befreit sich von diesen Kategorien und problematisiert das "Gemälde", indem er die innovativen Impulse der Moderne aufgreift (z. B. Monochromie, "shaped canvas", Objektkunst) und in freier, oft spielerisch scheinender Kreativität zu neuen Sinn-Bildern bündelt.
Auch in Ohne Titel fügen sich Teilideen zu einer Gesamtidee zusammen. Als Material wählte Reiter den häufig von ihm benutzten Markisenstoff - aber nicht rot-weiß-gestreift, sondern orange-leuchtend. Damit stand die Farbe des "Bildes" fest. Nichts wurde gemalt oder übermalt. Alles ist genäht und über den großen ovalen Rahmen gespannt. Die Idee, die Großform als überdimensioniertes, in die Breite gezogenes 0 anzulegen, ergab sich aus Reiters Auseinandersetzung mit der Schrift, deren assoziative Möglichkeiten oft einen integralen Bestandteil seiner Werke darstellen. Während die großflächige Gesamtform zur Zweidimensionalität tendiert, unterstreichen sowohl die abgerundeten Kanten des Bildformates als auch die akzentuierenden Kleinformen (faltig genähte Horizontalstreifen, aufgesetzte Schlaufe) die Dreidimensionalität. Diese hat nichts mit dem malerischen Illusionismus alter Gemälde zu tun, sondern gründet auf den haptischen Qualitäten des Bild-Objekts.
Das Kunstwerk als Ergebnis eines spielerischen und dennoch enorm zielgerichteten Gestaltungsprozesses zielt nicht nur auf die sachliche Analyse der obengenannten EinzeIbestandteile ab, sondern spricht vor allem das Empfindungs- und Assoziationsvermögen des Betrachters an. So lässt die aufgespannte Ovalform an ein Schlauchboot denken, und in Verbindung mit der leuchtend-orangen Farbe fühlen wir Wärme, Sonne, Urlaub, Freizeit - also unsere Art von Freiheit in Gesellschaft und Leben.
Michael Reiter verbindet Malerei und Objekt, Farbe und Form, Gefühl und Intellekt, Spontaneität und Konstruktion, Heiterkeit und Ernsthaftigkeit zu einer abgerundeten, in sich geschlossenen Einheit, die auf elementarer, unbefangener, vom Innovationszwang der Moderne befreiter Kreativität beruht.