Renate Sellesnick
Günter Braunsberg: Renate Sellesnick. Inseln
Text der Einladungskarte, Galerie ortart, Spenglerstraße 5, Nürnberg 2004
Text der Einladungskarte, Galerie ortart, Spenglerstraße 5, Nürnberg 2004
Renate Sellesnick. Inseln
Renate Sellesnick (geboren 1964 in Fürth) studierte in Nürnberg an der Akademie der Bildenden Künste bei Professor Günter Dollhopf (1985-1986) und Professor Werner Knaupp (1986-1991). Bekannt wurde sie vor allem als Zeichnerin, deren Erkennungszeichen die ganz bewusste Begrenzung auf das Rechteck des Papiers und den Bleistift in verschiedenen Härtegraden ist. Jedoch öffnet sie mit diesen "alten" Mitteln ganz neue Horizonte. In außerordentlich charakteristischer Art und Weise spannt sie dabei den Raum mit Hilfe von Linien auf und flicht darin hieroglyphenhafte Chiffren, wie auch emotionsgeladene menschliche Figuren oder Symbole ein. So entsteht eine sehr persönliche, aber dennoch ganz unmittelbar verständliche Sprache der Zeichnung, deren inhaltliche Dimension und poetische Kraft beeindrucken. Ihre neueste, hier abgebildete Arbeit heißt Entliebung.
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Den Titel Inseln wählte die Künstlerin für ihr ortart-Projekt, weil für sie ihre künstlerischen Aktivitäten immer deutlicher wie Inseln aus dem Strom des Lebens ragen. Dabei spielt nicht nur der Kommunikationsweg über die Zeichnung, sondern auch die unmittelbare Kraft der Farben ihrer weniger bekannten Gemälde und Bildobjekte eine entscheidende Rolle. Außerdem begleiteten die Künstlerin ihr Leben lang Gedichte, die bedingt durch die jeweils aktuelle Lebenssituation mehr oder weniger im Gedächtnis auf- oder wieder untertauchen. Diese neu "ausgegrabenen" Poesien spielen eine wichtige Rolle im Kontext der Ausstellungsinstallation für ortart.
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Beim Eröffnungsfest erweitern darüber hinaus drei polnische Musiker die Thematik der Ausstellung. Renate Sellesnick traf sie zufällig als Straßenmusiker in der Nürnberger Fußgängerzone. Sie erschienen ihr wie »Inseln« im chaotischen Treiben der urbanen Welt.
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Günter Braunsberg: Renate Sellesnick. Mit Linien den Raum aufspannen
in: positionen + tendenzen. Junge Kunst in Franken 1995, Stein/Nürnberg 1995, S. 86–89
(In der Ausstellung wurden ausschließlich Bleistiftzeichnungen der Künstlerin gezeigt)
in: positionen + tendenzen. Junge Kunst in Franken 1995, Stein/Nürnberg 1995, S. 86–89
(In der Ausstellung wurden ausschließlich Bleistiftzeichnungen der Künstlerin gezeigt)
Mit Linien den Raum aufspannen
Zeichnungen in Höhlen, an Felsen, auf Steinen und Knochen sind die frühesten Fixierungen menschlicher Gedanken und Phantasien, die uns überliefert sind. Zeichnungen stellen eine elementare Äußerung des Menschen dar. Zeichnungen spielen in der Kindheit eines jeden von uns eine wichtige Rolle (doch nur wenige zeichnen bis an ihr Lebensende). Zeichnungen bildeten in der Vergangenheit in allen Bereichen der Kunst (Malerei, Skulptur, Architektur) den Ausgangspunkt der Formfindung. Zeichnungen sind in der Gegenwart häufig autonome Kunstwerke, die ihre spezifische Ausdrucksstärke aus ihren ureigenen, nur ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gewinnen.
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Was macht eine Zeichnung aus?
Renate Sellesnick hält sich an eine sehr enge Definition dessen, was Zeichnung heute sein kann. Sie baut ihre Zeichnungen aus schwarzen Bleistift-Linien auf weißem Papier auf. Diese Linien setzt sie mit großer Systematik. Doch während jedes Entstehungsprozesses entwickelt sie aus ihrem Reservoir an Gestaltungsprinzipien stets ein völlig neues Bildindividuum, das dem Betrachter gegenübertritt. Dem Betrachter fällt auf, daß diese Zeichnungen sowohl in der Nah- wie in der Fernsicht funktionieren. Aus der Nähe reizt die Fülle ihrer unterschiedlichen Details, die durch Verwandtschaft oder Kontrast miteinander kommunizieren. Man verfolgt an einer Stelle Geschwindigkeit, Dynamik und Richtungswechsel einer Linie - und entdeckt später an einer anderen Stelle vergleichbare Formelemente. Man erkennt sowohl die Spontanität der gestalterischen Aktion als auch die Präzision der Zeichen-Setzung. Beides fügt sich mit Selbstverständlichkeit zu einem schlüssigen Ganzen zusammen. Aus der Ferne betrachtet, dominiert hingegen zuerst das Ganze des Bildraumes, der sich ballt und weitet, der Fülle wie Leere zum Klingen bringt, in dem sich Mannigfaltiges zur Einheit schließt. Klassische Komposition wie „all over"-Struktur, artifizielle Handzeichnung wie „action painting", vorgedachtes Konzept wie gestalterische Spontanität - viele Elemente treten in immer neuer Konstellation zusammen. Jede Zeichnung ist autonom. Renate Sellesnick verfolgt nicht den „erweiterten Kunstbegriff" als erweiterten Begriff von dem, was Zeichnung sein kann. Sie überschreitet nicht die Grenzen der Zeichnung, um Neuerungen von außerhalb zu integrieren, sondern sie definiert die Rahmenbedingungen extrem eng, um so auf die enorme Vielfalt der Möglichkeiten innerhalb des Kontextes Zeichnung aufmerksam zu machen. Ihre Zeichnungen sind elementare Äußerungen ihrer Person. Sie setzen alte Traditionen fort, beziehen sich aber ausschließlich auf unsere Gegenwart. |