Texte
Von Nürnberg nach Brasilien!
Günter Braunsberg
Ponte Cultura e.V. organisiert von Nürnberg aus seit über zwei Jahrzehnten gemeinsame Projekte deutscher und brasilianischer Künstlerinnen und Künstler. Von Jahr zu Jahr finden die Veranstaltungen abwechselnd in Europa oder in Brasilien statt. Noch bis zum 17.11. zeigen 6 deutsche Künstler (meist aus dem Großraum Nürnberg) gemeinsam mit 15 brasilianischen Künstlern eine eindrucksvolle Präsentation in der Pinacoteca de Sao Bernardo do Campo, Sao Paulo. Diese Ausstellung "Amor Paixao / Liebe Leidenschaft" stellt eine Fortsetzung und Weiterentwicklung des gleichnamigen Projekts dar, welches bereits im Herbst 2012 in Nürnberg „auf AEG“ gezeigt werden konnte.
Nach Aufbau und Eröffnung der Ausstellung in Sao Bernardo nahmen alle beteiligten Künstler an dem einwöchige Workshop "Amanti-kir" in Sao Bento do Sapucai teil (15.-21.9.). Beide Veranstaltungen förderten den interkontinentalen Gedankenaustausch, woraus sich bereits neue Ideen für gemeinsame Zukunftsprojekte unter der Federführung von Ponte Cultura entwickelten.
Im folgenden sollen die Arbeiten der deutschen Künstler kurz gewürdigt werden.
Nathalie Fari (Deutschland) und Ana Cristina Mendes (Brasilien) setzten ihre „auf AEG“ begonnene Zusammenarbeit in Sao Bernardo mit einem ganz neu entwickelten Projekt fort. Während ihrer gemeinsamen Performance anlässlich der Eröffnungsveranstaltung von „Amor Paixao“ am 14.9. saßen die Künstlerinnen getrennt von einander an zwei Enden einer Museumsbank. Ruhig und feierlich rezitierten sie Texte aus ihrem Büchlein „tempo real“. Bisweilen erhoben sie sich, umschritten ihre Sitzgelegenheit oder krochen unter der Sitzfläche hindurch - stets jede Akteurin für sich. Nur die gesprochenen Worte verbanden die beiden voneinander isolierten Individuen. Trennung und Kommunikation! Das gemeinsam erstellte Büchlein „tempo real“ basiert auf dem über WhatsApp geführten interkontinentalen Gedankenaustausch der Künstlerinnen: „Im Zentrum stand der Baum als Symbol und Metapher für Körper, durch welchen wir kommunizierten und das Reale mit dem Fiktiven vermischten und in Verbindung setzten.“ (Natalie Fari). Wer portugiesisch verstand konnte assoziieren, dass jeder Baum aus seinen Wurzeln hervorwächst, sich entfaltet, jeden Ast ganz besonders weiterentwickelt. Der Baum als naturverbundenes Individuum. Im Laufe der Performance tauschten die Künstlerinnen ihre Sprechrollen. Dadurch verbanden sich zwei Individuen sprachlich - ohne in körperlichen Kontakt zueinander zu treten. Getrennt und doch vereint!
Dieses Thema griffen Nathalie Fari und Ana Cristina Mendes in Sao Bento do Sabucai nochmals auf, aber in ganz anderer Form. Auf dem zentralen Platz dieses brasilianischen Gebirgsortes nutzten die Künsterinnen die vorhandene Rundbühne. Natalie verwandelte sich in eine statuarisch-festverankerte Gewandfigur, welche mit wenigen Bewegungen und mit eindringlichen Blicken agierte. Ana Cristina bewegte sich im Geäst eines Baumes, mit dem sie zu einer Einheit verschmolz. Mitten in der Hektik des abendlichen Ortszentrums, bei Life-Musik aus der benachbarten Bar, zwischen all den zufällig vorbeikommenden einheimischen und Fremden, bildete sich eine Zone der Ruhe und Gelassenheit. Die Ungeduld der Betrachter, welche meist mehr Action erwarteten, wurde auf die Probe gestellt. Verwurzelung/Entwurzelung. Langsamkeit! Zeit?
Günter Braunsberg
Ponte Cultura e.V. organisiert von Nürnberg aus seit über zwei Jahrzehnten gemeinsame Projekte deutscher und brasilianischer Künstlerinnen und Künstler. Von Jahr zu Jahr finden die Veranstaltungen abwechselnd in Europa oder in Brasilien statt. Noch bis zum 17.11. zeigen 6 deutsche Künstler (meist aus dem Großraum Nürnberg) gemeinsam mit 15 brasilianischen Künstlern eine eindrucksvolle Präsentation in der Pinacoteca de Sao Bernardo do Campo, Sao Paulo. Diese Ausstellung "Amor Paixao / Liebe Leidenschaft" stellt eine Fortsetzung und Weiterentwicklung des gleichnamigen Projekts dar, welches bereits im Herbst 2012 in Nürnberg „auf AEG“ gezeigt werden konnte.
Nach Aufbau und Eröffnung der Ausstellung in Sao Bernardo nahmen alle beteiligten Künstler an dem einwöchige Workshop "Amanti-kir" in Sao Bento do Sapucai teil (15.-21.9.). Beide Veranstaltungen förderten den interkontinentalen Gedankenaustausch, woraus sich bereits neue Ideen für gemeinsame Zukunftsprojekte unter der Federführung von Ponte Cultura entwickelten.
Im folgenden sollen die Arbeiten der deutschen Künstler kurz gewürdigt werden.
Nathalie Fari (Deutschland) und Ana Cristina Mendes (Brasilien) setzten ihre „auf AEG“ begonnene Zusammenarbeit in Sao Bernardo mit einem ganz neu entwickelten Projekt fort. Während ihrer gemeinsamen Performance anlässlich der Eröffnungsveranstaltung von „Amor Paixao“ am 14.9. saßen die Künstlerinnen getrennt von einander an zwei Enden einer Museumsbank. Ruhig und feierlich rezitierten sie Texte aus ihrem Büchlein „tempo real“. Bisweilen erhoben sie sich, umschritten ihre Sitzgelegenheit oder krochen unter der Sitzfläche hindurch - stets jede Akteurin für sich. Nur die gesprochenen Worte verbanden die beiden voneinander isolierten Individuen. Trennung und Kommunikation! Das gemeinsam erstellte Büchlein „tempo real“ basiert auf dem über WhatsApp geführten interkontinentalen Gedankenaustausch der Künstlerinnen: „Im Zentrum stand der Baum als Symbol und Metapher für Körper, durch welchen wir kommunizierten und das Reale mit dem Fiktiven vermischten und in Verbindung setzten.“ (Natalie Fari). Wer portugiesisch verstand konnte assoziieren, dass jeder Baum aus seinen Wurzeln hervorwächst, sich entfaltet, jeden Ast ganz besonders weiterentwickelt. Der Baum als naturverbundenes Individuum. Im Laufe der Performance tauschten die Künstlerinnen ihre Sprechrollen. Dadurch verbanden sich zwei Individuen sprachlich - ohne in körperlichen Kontakt zueinander zu treten. Getrennt und doch vereint!
Dieses Thema griffen Nathalie Fari und Ana Cristina Mendes in Sao Bento do Sabucai nochmals auf, aber in ganz anderer Form. Auf dem zentralen Platz dieses brasilianischen Gebirgsortes nutzten die Künsterinnen die vorhandene Rundbühne. Natalie verwandelte sich in eine statuarisch-festverankerte Gewandfigur, welche mit wenigen Bewegungen und mit eindringlichen Blicken agierte. Ana Cristina bewegte sich im Geäst eines Baumes, mit dem sie zu einer Einheit verschmolz. Mitten in der Hektik des abendlichen Ortszentrums, bei Life-Musik aus der benachbarten Bar, zwischen all den zufällig vorbeikommenden einheimischen und Fremden, bildete sich eine Zone der Ruhe und Gelassenheit. Die Ungeduld der Betrachter, welche meist mehr Action erwarteten, wurde auf die Probe gestellt. Verwurzelung/Entwurzelung. Langsamkeit! Zeit?
Renate Gehrcke zeigt in der Pinacoteca de Sao Bernardo do Campo eine charakteristische Auswahl ihrer Zeichnungen, welche den frei und dynamisch gesetzten Strich mit den Bewegungs-Impulsen verbinden, die von tanzenden Akt-Modellen ausgehen. Trotz des Themas „Liebe Leidenschaft“ geht es der Künstlerin dabei nicht um Erotik, sondern um die unmittelbare, kraftvolle Setzung. Sie spürt künstlerischen Fragen nach: Wie lange bleibt eine Skizze „suchend“, unvollendet? Wann ist der Punkt erreicht, an dem ein autonomes Kunstwerk entsteht? Die Leidenschaft des künstlerischen Tuns, welche Renate Gehrcke stets auszeichnet, springt uns aus der kleinen Auswahl an schwarz-weißen Kohlezeichnungen mit ähnlicher Intensität entgegen, wie aus ihren großformatigen, farbstarken Gemälden, welche leider aus logistischen Gründen nicht in Brasilien gezeigt werden können.
In Anna Handicks Rauminstallation "Saudade / Sehnsucht" hängt ein Gespinnst aus unterschiedlich großen Metallringen von der Decke herab. Es berührt und umspielt Äste, welche vom Boden aus nach oben streben. Gegensätzliche Formen und Materialien (Metaphern für Mann und Frau?) entwickeln sich aufeinander zu. Sie berühren sich und bilden eine neue Einheit - und bleiben doch sie selbst. In der Wandzeichnung hinter der Rauminstallation wiederholte und variierte Anna Handick das Motiv. Aus einer Art Schattenwurf des räumlichen Gebildes entwickelte die Künstlerin auf der zweidimensionalen Wand eine eigenständige ästhetische Setzung.
In der Video-Arbeit von Thomas Held agieren die Kugeln eines Billardspiels wie eine Gruppe von Personen. Sie laufen aneinander vorbei oder treffen aufeinander. Sie treten in Bezug zueinander - oder bleiben isoliert. Die schwarze, wichtigste Kugel, spielt eine Sonderrolle. Sie spielt immer alleine - und springt schließlich über das Loch hinaus in eine rote Flüssigkeit. Blut? Tod? Aber die anderen agieren weiter - als wäre nichts geschehen. Ein Akteur mehr oder weniger auf der Bühne des Lebens - spielt das eine Rolle?
Gerlinde Pistner ist in der Ausstellung „Liebe Leidenschaft“ mit einer eindrucksvollen Gruppe von 20 Arbeiten aus ihrer Serie „Seelentröster (Kuschelteller)“ vertreten. In Brasilien fiel auf, dass sich das deutsche Wort „kuscheln“ nicht ins Portugiesische übersetzen lässt und nur umschrieben werden kann. „Kuscheln“ bedeutet Nähe und Geborgenheit - ohne Sex. Ist dies den Brasilianern fremd? - Den Kinder-Schmuse-Tieren zog Gerlinde Pistner die Plüschhaut ab. Sie spannte diese Ganzkörper-Skalps über einen Porzellanteller, hängte sie an die Wand, fotografierte sie und entwickelte daraus Bildtafeln in der Tradition der Malerei. Die „Seelentröster“ der Kindheit werden zu Trophäen, die wie das Hirschgeweih oder der ausgestopfte Tiger- oder Elefantenschädel des Großwildjägers an der Wand hängen. Die Ambivalenz des Begriffs „Liebe“ wird hinterfragt, zwischen Kindheit und erwachsen werden, zwischen Unschuld und Opfertod.
Marianne Stüves „Netzwerk mit Blumen“ erinnert daran, dass lange vor der Zeit von Smartphones und iPads die Blumensprache das bevorzugte Mittel der Kommunikation unter Liebenden war. Jede Blüte stand für eine codierte Bedeutung. Geheime Botschaften zärtlicher Zuneigung oder glühender Verehrung konnten als dekoratives Geschenk-Bouquet getarnt übermittelt werden. Blumensträuße haben ihre tiefere Bedeutung verloren. Heute überbringen die sozialen Netzwerke des Internets Liebesbotschaften. Marianne Stüves sehr zeitgenössisch aus Nylonfäden geflochtenen und miteinander vernetzten Blumen erneuern die Poesie vergangener Menschengenerationen.
Den Ausgangspunkt für Fred Zieglers gelbe Form-Elemente in seinem Objektbild „Wo ist der Wind, wenn er nicht weht“, war seine Auseinandersetzung mit Querschnitten von Wassertürmen. Diese architektonischen Planzeichungen kombinierte er mit Linien aus Wäscheleinen. Dadurch erinnern die gelben Formen den Betrachter an Wäschestücke, die auf der Leine hängen, um im Wind zu trocknen. Die Formen der bemalten Tapetenstücke bringen Unterhöschen, Büstenhalter, Dessous aller Art in den Sinn - Kleidungsstücke, die normalerweise im Verborgenen bleiben und nur in besonderen Stunden in Erscheinung treten. Erotische Reizwäsche-Phantasien von „Liebe & Leidenschaft“ und sachlich, kühle Architekturzeichnungen werden zu typisch zieglerscher Gelb-Malerei transformiert.
Der Workshop "Amanti-kir" in Sao Bento do Sapucai (15.-21.9.) diente vor allem dem Gedankenaustausch unter den Künstlern. Gemeinsam griffen sie die Idee von Angelo Milani auf, Mosaike für eine Kapelle zu gestalten. Der Künstler Milani lebt in Sao Bento und beteiligt sich seit vielen Jahren immer wieder bei Ponte Cultura Projekten. Interessant war, dass deutsche und brasilianische Künstler unterschiedlichster Ausrichtung bereit waren sich mit der alten Technik des Mosaiks auseinanderzusetzen und so in oft unerwarteter Form ihren Horizont zu erweitern.
In Ergänzung von Ausstellung und Workshop konnte Ponte Cultura sowohl in Sao Bernardo, als auch in Sao Bento, in Zusammenarbeit mit den örtlichen Institutionen Vorträge realisieren, die eine Brücke schlugen von Deutschland nach Brasilien. Der Nürnberger Kunsthistoriker Günter Braunsberg sprach über die „Kunststadt Nürnberg, tausend Jahre Kulturgeschichte“. Gabriele Wahl, welche über viele Jahre bemerkenswerte Ausstellungsprojekte im Kulturladen Schloss Almoshof organisierte, informierte über „Kulturläden, eine Basis der Kunst in der Metropolregion Nürnberg“. Beide Themen stießen in Brasilien auf lebhaftes Interesse.